Elisabeth – das Musical bleibt bis heute, über 30 Jahre nach seiner Entstehung, eines der wenigen international weitläufig erfolgreichen Musical-Genre-Stücken des deutschsprachigen Raums. Nach damals neuen Erkenntnissen und Einblicken in das Leben der – besonders durch die allzeit-bekannten Filme mit Romy Schneider – so berühmten Kaiserin von Österreich, sollte ein Stück her, das einen entzauberten Blick auf die Biografie der Monarchin wirft und betitelt sich selbst als „Die wahre Geschichte der Kaiserin“.
Kreativ und präzise personifiziert das Stück Elisabeths lebenslange Sehnsucht – den Tod als menschliche Gestalt – und lässt Elisabeths Mörder Lucheni als eine Art Conférencier durch ihr Leben bis zu ihrer Ermordung führen. Wir identifizieren uns mit Elisabeth, lernen jedoch auch ihre Schwächen und abkömmlichen Seiten kennen, lösen uns von dem Gedanken an ein 50er-Jahre Heimatfilm-Klischee und interessieren uns mit Hilfe der künstlerischen Bandbreite des Musicals für geschichtliche Ereignisse.

Betrachtet man die Entwicklung von Elisabeth in seinen Neuinszenierungen über die Jahre hinweg, fällt jedoch wohl oder übel auf, dass sich starke Veränderungen abgezeichnet haben, die bei näherer Betrachtung nicht recht zu der ursprünglichen Idee des Stücks passen wollen. Da wo einst Zwielichtigkeit herrschte, ist längst Licht ins Dunkle gekommen; so ist beispielsweise oftmals von dem einst androgynen „schwarzen Prinzen“, der undurchschaubar und ambivalent sein Unheil treibt, nur noch ein eindimensionaler, greifbarer Tod in heteronormativer Mannesgestalt zu sehen, der um die Kaiserin buhlt.
Das wohl bislang größte Desaster, welches Elisabeth das Musical auf sich nehmen musste, war die erstmalig im Jahr 2019 aufgeführte, konzertante/halbszenische Inszenierung als großes Ereignis vor dem Schloss Schönbrunn, welches nach der Corona-Pandemie jährlich zurückkehrte. Negativer Höhepunkt hierbei war unter anderem das bejubelte Auftreten des Komponisten Sylvester Levay bei der Premierenaufführung – welcher sich beim größten Hit seines Stücks den Taktstock in die Hand geben ließ, „Ich gehör nur mir“ selbst dirigierte – womit die letzten Funken kritischer Auseinandersetzung mit dem historischen Stoff abhanden gekommen zu sein schienen und ein reines billiges Spektakel erzeugt war.
Die große Frage, die sich hierbei stellt, ist, ob sich wirklich keiner der Beteiligten im Klaren darüber zu sein scheint, dass gerade diese Aufmachung des Musicals – als großes Sommer-Event mit kitschiger Schönbrunn-Kulisse und Romantik-Fokus – im fundamentalen Widerspruch zu der eigentlichen Idee eines Klischee-Aufbrechens steht.
Egal ob nicht gefragt oder gut ignoriert – jene Tour, die zurzeit durch die Städte vagabundiert, ist eben gerade jene „gefeierte Schönbrunn-Version“ (ohne zu verdeutlichen dass es sich hierbei um eine konzertante Version handelt) und löst die weitere Frage aus – warum es nicht möglich zu sein scheint eine vernünftige, sich etwas Neues zutrauende Produktion und Inszenierung zu erschaffen, die bestenfalls gerade bei jenem eigentlich so feministischen Stoff nicht von einer 99-prozentigen Männerquote im Creative Team beschlossen wird.
Schon einige Städte liegen hinter der Elisabeth-Tour, während wir das spärliche Treppengebilde einer Bühnenkulisse nun auf den Brettern der Staatsoper Hannover aufgebaut sehen. Positiv überzeugen die drei Hauptdarsteller*innen des Abends – Kristine Emde als Kaiserin Elisabeth, Lukas Mayer als Der Tod und Gerrit Hericks als Luigi Lucheni.
Wenn auch etwas jung für die alternde Elisabeth im zweiten Akt des Stücks, brilliert Kristine Emde stimmlich graziös, kraftvoll und fehlerfrei in jeglichen Passagen der anspruchsvollen Gesangsparts; Lukas Mayers Darstellung des Tods bewirkt das Gefühl von Aufbrechen geschlechtlicher Binaritäten innerhalb der Figur und affirmiert so den hoffnungsvollen Gedanken an eine Rückkehr diesbezüglicher Fluidität. Gerrit Hericks‘ lockeres und doch akkurates Spiel in Kombination mit rauer, vocal-fry lastigen Stimmausarbeitung vollendet die nicht vollständig ergründbare Figur des Lucheni; bringt positiv-erneuernden Wind in die Reihe von Lucheni-Darstellenden.

Durch die Kürzung des Stoffes wirken Übergänge zu sehr gerafft – wichtige Erzählstränge können sich nicht richtig entfalten, die Qualität der künstlerischen Auseinandersetzung mit historischem Stoff, welche Kreationen von Sinnhaftigkeiten sowie Widersprüchlichkeiten für die ästhetische Wahrnehmung erzeugt, leidet stark. Bis auf den Grund, dass die Inszenierung nun einmal konzertant stattfindet, gibt es keine Zweckhaftigkeit für das über allem prangende Orchester auf der Bühne – wenn schon mit dem Zusatz “halbszenisch” bei der Vermarktung der Tour geworben wird, hätte es nicht eine Möglichkeit geben können, jenes durch künstlerische Mittel mit in die Handlung zu verweben? Der Klang des Darsteller*innen-Ensembles ertönt zu schwach, teilweise zu schrill in den großen Musiknummern, in welchen ein zusätzlicher Opernchor rein akustisch sicherlich einige Wunder bewirken würde. Auch die kleinen Tanzeinlagen wirken nicht recht im Sinne der Atmosphäre – vor allem nicht durch die teilweise zu hellen stroboskop-artig eingesetzten Lichteffekte. Als größter Fauxpas stellt sich die (Video-)Projektion auf der hinteren Leinwand heraus. Kaum mehr als billig und vor allem kitschig wirken die leicht animierten Bilder von Schlössern, Berglandschaften, Kaiserwappen, Fächern, die „passend“ zu den jeweiligen Szenen eingeblendet werden in der sonst kargen Bühnenlandschaft. Alles in allem ist das Ergebnis der Elisabeth – das Musical Tour in der „gefeierten Schönbrunn-Fassung“ ein ernüchterndes Sinnbild für die ebenfalls ernüchternde Welt des deutschen Musicals.
Bleibt nur, es mit den eigenen Worten des Musicals zu sagen: „Man hört nur was man hör’n will, drum‘ bleibt nach etwas Zeit, von Schönheit und von Scheiße, von Traum und Wirklichkeit nur Kitsch.“
Rezension von Elena Pryswitt
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