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Musik, Partys, Gesang und Gigs – FLINTA*-Musikschaffende berichten von ihren Erfahrungen

QENEM ist ein Netzwerk für FLINTA*-DJs und FLINTA*-Produzent*innen in der niedersächsischen Elektromusikszene. Es wurde 2020 gegründet. Dieses niederschwellige Netzwerk fördert das queerfeministische Empowerment durch regelmäßigen Austausch und Workshops, um gegenseitige Unterstützung und Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Journal-Autorin Katharina Gläser hat über QENEM Kontakte zu zwei DJs und einer „Live Electronic Artist“ geknüpft. Wie sind die Reaktionen auf den Job? Welche diskriminierenden Erfahrungen haben die Musikschaffenden gemacht? Und worauf kommt es an: Auf die Musik oder das Geschlecht?

Mayla– Rosa P

Mayla (sie/ihr) ist 27 Jahre alt und legt unter dem Namen„Rosa P“ als DJ auf. Sie ist seit vier Jahren DJ zum Spaß, hat sich das DJing selbst beigebracht und spielt mit Platten. Beim Freien Radio Kassel hat Mayla eine eigene Sendung und ab und zu legt sie auch auf Events auf. Ihre Genres sind breitgefächert und reichen von Hip Hop zu Soul. Mayla war Ende Januar zum ersten Mal beim monatlich stattfindenden „Qenem Open Circle“.

Was für Reaktionen bekommst du auf den Job als DJ?

„Eigentlich finden das alle cool, aber auch irgendwie sehr besonders cool, weil ich eine Frau bin.“

Hast du schonmal Erfahrungen gemacht, in denen du als weiblicher DJ vonMännern diskriminiert oder herabgewürdigt wurdest?

Diskriminierende Erfahrungen hat Mayla schon erlebt – und zwar nicht unbedingt durch Männer. Maylas prägnanteste Situation war folgende: „Ich habe mit zwei Typen zusammen aufgelegt und war sozusagen „special guest“. Ich hatte schon eine ganze Weile aufgelegt und war dann kurz an der Bar. Dort hat eine Frau mich angesprochen: „Was ist denn dein Job? Bist du ne Freundin von einem der DJs?“

Dann habe die Frau Mayla noch darum gebeten, den DJs einen Liedwunsch weiterzugeben. Später am Abend sei die Frau sogar noch einmal zu Mayla ans Mischpult gekommen und habe gefragt, ob sie denn ihren Liedwunsch auch weitergegeben habe. „Sie hat mich nicht ernst genommen, sagt Mayla.

Das ein oder andere Mal hat Mayla außerdem schon erlebt, dass Typen ihr erklären wollten, wie das Mischpult funktioniert. „Viele der Männer betreiben mansplaining – und merken es nicht.“

Was ist ausschlaggebend für die Booker*innen? Musik oder Geschlecht?

„Es gibt einen stabilen Gender-Gap in der Musikszene, aber FLINTA*-DJs sind durch den Wandel des Zeitgeistes gefragter“, so Mayla. Sie hat das Gefühl, dass es trotzdem immer noch etwas Besonderes ist, wenn FLINTA*-DJs auflegen. Das falle ihr auf, da in der Werbung für den jeweiligen Gig dann „gelabelt wird“.

Manchmal habe ich das Gefühl, gebucht zu werden, weil ich als Frau gelesen werde – um dann die Quotenfrau zu sein.

Auf der einen Seite fände Mayla das wichtig, weil es in der DJ-Szene „Repräsentation braucht“. Doch auf der anderen Seite wirkt es auf die 27-Jährige „mager“ und sie fragt sich: „Buchen sie mich jetzt aufgrund meines Aussehens oder aufgrund meiner Musik?“ Mayla bekommt nie einen prime-time-slot, sondern spielt meist das Warm-up. Ob das daran liegt, dass sie eine Frau ist, weiß sie nicht. „Vielleicht liegt es auch einfach an meiner Musik.“

Sie hat den Eindruck, dass ein großer Teil der Gesellschaft, der FLINTA*s mehr Raum, Platz und Sichtbarkeit geben will, begeistert von FLINTA*-DJs ist. Daher werde es laut ihr gesamtgesellschaftlich wichtiger, den Fokus darauf zu legen.

Hängt dein Aussehen damit zusammen, wie du als DJ ankommst?

„Also ich habe schon das Gefühl, ernstgenommener zu werden, wenn ich beim Auflegen nur ein T-Shirt anhabe. Dann liegt der Fokus auf der Musik“, sagt Mayla. „Wenn ich ein Glitzerkleid habe, dann liegt der Fokus mehr auf dem Gesamtbild.“

ÆDLA

ÆDLA ist Multiinstrumentalistin, Sängerin und Songwriterin und tritt als sogenannte „Live Electronic Artist“ auf. ÆDLA kombiniert in einer One-Woman-Show live auf der Bühne ihr DJ-Set mit live Keys, Gitarre, Synths, Sampling Pads und singt dazu. Sie ist in den Genres Folktronica sowie Elektro-Pop zu Hause und tritt deutschlandweit hauptsächlich bei Outdoor-Veranstaltungen und auf Festivals auf.

ÆDLA ist Teil von Qenem. Im Jahr 2020 erlitt ÆDLA einen schlimmen Unfall, durch den sie u.a. ihre Gesangsstimme verlor. Doch sie hat gekämpft und es geschafft, wieder singen und musizieren zu können und startet jetzt durch.

Instagram: @aedlamusic

Was für Reaktionen bekommst du auf den Job als „Live Electronic Artist“?

„Die Menschen sind interessiert und begeistert. Sie möchten wissen, was sich dahinter verbirgt und sind gespannt auf die Auftritte.“

Hast du manchmal das Gefühl, es ist als Frau in der elektronischen Musikbranche schwieriger, an Gigs zu kommen?

„Ja. Und zwar einfach aus der Tatsache heraus, dass männlich gelesene Netzwerke in der Musikbranche schon viel länger existieren und man gerne Menschen weiterempfiehlt, die man kennt.“ Laut ÆDLA seien FLINTA*-DJ-Netzwerkstrukturen hingegen noch jung, sodass Weiterempfehlungen unter Männern bisher noch einfacher stattfänden.

Musik ist wichtig. Lärm ist wichtig. Festivals sind wichtig. – Und das muss auch nach draußen gebracht werden.

Was ist ausschlaggebend für die Booker*innen? Musik oder Geschlecht?

ÆDLA ist der Meinung, dass die meisten Booker*innen Musiker*innen aufgrund ihrer Musik buchen. Sie sagt, dass derzeit „ein Überangebot in der Musikindustrie“ herrsche und die Qualität auf dem Markt „gerade ziemlich gut“ sei.

Doch trotzdem findet sie es nicht verwerflich, wenn sie aufgrund dessen, dass sie eine Frau ist, gebucht wird: „Ich finde das zeigt, dass die Booker*innen sensibilisiert dafür sind, Vorbilder in weiblich gelesenen Personen zu schaffen und Gender-Equality zu erreichen.“ Gerade den Effekt, dass dadurch Vorbilder geschaffen werden, findet ÆDLA wichtig. Sie betont: „Je mehr FLINTA* auf der Bühne stehen, desto besser.“ Sie selbst habe verletzende Aussagen wie „Du wirst halt nur gebucht, weil du eine Frau bist“ noch nie erfahren.

Ich finde Musik so extrem wichtig, weil die Leute wieder mit ihren Emotionen, ihrem tiefsten Inneren in Verbindung kommen.

Hast du schonmal Erfahrungen gemacht, in denen du als weibliche Musikschaffende vonMännern diskriminiert oder herabgewürdigt wurdest?

„Nein, ich habe solche Erfahrungen noch nie gemacht. Seitdem ich Musik professioneller verfolge habe ich mit Cis-Männern immer gute Erfahrungen gemacht.“, sagt ÆDLA. Ihr sei jedoch durchaus bewusst, dass Kolleg*innen bereits andere Erfahrungen gemacht hätten. Für ÆDLA steht eine wertschätzende Kollaboration (Zusammenarbeit) zwischen Musiker*innen egal welchen Geschlechts im Vordergrund.

Hast du im Nachtleben schon diskriminierende Erfahrungen gemacht oder dich einfachunsicher gefühlt?

Als „Live Electronic Artist” legt ÆDLA nicht wie viele andere DJs mitten in der Nacht in Clubs auf, doch im Nachtleben ist sie trotzdem oft musikalisch unterwegs. „Vor allem der Backstage-Bereich ist halt ein total unsicherer Ort, dort stehen keine Security. Normalerweise soll der Backstage-Bereich der sichere Raum für Künstler*innen sein. Aber am Ende des Tages ist das der unsicherste Raum im ganzen Club – denn da ist ja niemand“, betont sie.

Sicherer werde es, wenn man mit mehreren unterwegs sei, beispielsweise als DJ-Duo oder mit Manager*in, hebt ÆDLA hervor. Sie sagt außerdem: „De facto ist es so, dass es unsicher als Frau ist, in der Nacht alleine rumzufahren. Und gerade für FLINTA*s ist es wirklich gefährlich, im Nachtleben allein unterwegs zu sein.“ ÆDLA stuft die Gefahr für FLINTA*s, insbesondere für INTA*-Personen, als nochmals „gefährlichere und ganz andere Nummer als für weiblich gelesene Menschen“ ein. Deshalb seien Netzwerke wie Qenem so wichtig, um sich auszutauschen, präventiv handeln zu können und Unterstützung zu holen, falls jemand aus der Szene eine diskriminierende Erfahrung machen sollte.

Ich sage immer: Festivals sind Spielwiesen für alternative Gesellschaftsformen. Und das ist gerade heutzutage so, so wichtig, wo sich die Gesellschaft gerade so sehr spaltet.

Charis – Cherrie

Charis (keine Pronomen) ist 23 Jahre alt und legt seit vergangenem Jahr unter dem Namen „Cherrie“ in Hannover und Umgebung als DJ auf. Charis hat sich das DJing selbst beigebracht und ist vor allem in den Genres Dub-Techno, UK Garage und House unterwegs. Bei Qenem ist Charis seit Sommer 2023 dabei und plant Veranstaltungen mit.

Instagram: @cherriecheriee

Was für Reaktionen bekommst du auf den Job als DJ?

„In meiner Bubble ist das voll normal, dass ich DJ bin. Aber außerhalb meiner Bubble kommen oft Reaktionen wie ´Wow, das ist voll krass´“, sagt Charis. Vor allem sei es Coolness, die Menschen außerhalb Charis´ Bubble mit dem DJ-Job verbinden.

Was ist ausschlaggebend für die Booker*innen? Musik oder Geschlecht?

Charis sagt: „Ich habe das Gefühl, dass im Booking nicht auf das Geschlecht geachtet wird, sondern eher auf die Reichweite und die Musik.“ Charis betont, dass es wichtig sei, dass queere Menschen nicht nur in „queeren Räumen existieren können“. Sie müssten „überall repräsentiert werden“.

Hast du im Nachtleben schon diskriminierende Erfahrungen gemacht oder dich einfachunsicher gefühlt?

Charis hat mindestens immer eine bekannte Person dabei und sagt: „Die Orte in Hannover sind mir meist schon vertraut.“ Dennoch komme es zu unangenehmen Situationen: „Ich wurde schon oft von aufdringlichen Männern angesprochen – mit Sätzen wie ´Set ist voll nice`, bis hin zu Smalltalk.“

Hast du schonmal Erfahrungen gemacht, in denen du als nicht-binärer DJ vonMännern diskriminiert oder herabgewürdigt wurdest?

„Ja, habe ich. Mir hat schonmal ein Typ ins Mischpult eingegriffen, obwohl es nicht geclipped war. Clipping ist, wenn die Lämpchen der Lautstärkenanzeige auf dem Mixer rot leuchten. Ich würde es noch verstehen, wenn eine Person mir was sagen möchte, aber einfach nur, um Macht auszuspielen, ist es nicht cool. Und generell sollte immer vorher gefragt werden.“

„Meine weirdeste Situation mit einem Macker war allerdings folgende: Der Typ meinte ´Geile Musik, aber geht noch besser.` und hat mir dann einen 20 Euro-Schein auf den Mixer gelegt. Dann wollte er mich umarmen und antatschen, sodass mein Ansprechpartner sich vor mich gestellt hat, damit der Macker nicht an mich heran kam“, erzählt Charis.

Katharina Gläser

ist 20 Jahre alt und seit vier Jahren in der JPN aktiv. Lärm in Form von Musik gehört für sie in den Alltag und ist nicht wegzudenken – Weder das eigene Musizieren mit Gitarre und Gesang noch das stundenlange Musikhören.

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