Bei Radio Frei fand am 7. Februar der erste feministische Poetry Slam in Erfurt statt
Feminismus: gerade jetzt von Nöten
Fünf Minuten nach Veranstaltungsbeginn kam die Einlassschlange bereits zum Stocken. Vorhersehbar war der Andrang für die Veranstalter*innen der Linksjugend solid nicht. Es war der erste feministische Poetry Slam in Erfurt und das Thema zog vor allem junge Menschen in die Räumlichkeiten vom Radio Frei. Der Themenschwerpunkt wurde vorab durch Julia, Mitorganisatorin der Veranstaltung, in die aktuelle politische Lage eingeordnet. Feminismus dürfe nicht an Wichtigkeit verlieren, sondern sei gerade jetzt von Nöten. Diese Einschätzung schienen auch die Anwesenden zu teilen und Moderatorin Celine Rützler leitete den Abend mit einer selbstgeschriebenen Utopie ein. Einer Verkehrung der aktuellen Verhältnisse zur tatsächlichen Gleichstellung aller Geschlechter.
Kein Elfenbeinturm
Eine Sache wurde besonders deutlich: Feminismus ist kein bloßes Theoriegebilde, es ist die Einstellung zu realen – meist selbst erlebten – Verhältnissen verbunden mit der Forderung nach Veränderung. Feminismus ist kein Elfenbeinturm, er lässt sich auch in einen kurzen Text verpacken.
Wer gewinnt, entscheidet das Publikum
Denn darum geht es beim Poetry Slam. Die Künstler*innen haben maximal sieben Minuten Zeit, um etwas Selbstgeschriebenes vorzutragen. Wer gewinnt, entscheidet das Publikum. Die Entscheidung dient mehr der Form, als dass es den sechs Slamer*innen einen Ansporn darstellt. Für sie geht es nicht um Gewinnen, sondern um die Präsentation ihrer Texte. Diverse Alltagsbeispiele zeigten, dass Feminismus in allen Lebensbereichen thematisierbar bleibt.
Traurig und ernst zugleich
Von der Fantasie queerer Steine über die Realität der eigenen gesellschaftlichen Position. Vom traurigen Ernst partnerschaftlicher Gewalt zum Lachen über einfallsreiche Wortwitze.
Machtpositionen in Frage stellen und Konventionen einreißen.
Poetry Slam ist ein Unterhaltungsformat, welches einen hohen kulturellen Stellenwert unter jungen Leuten eingenommen hat. Insbesondere weil alltägliche Erfahrungen zur Diskussion gestellt werden und die Teilnahmeschwelle sehr gering ist. Es geht nicht um Wahrheiten oder Behauptungen. Es geht um unterschiedliche Blickwinkel aus Ecken heraus, die in gesellschaftlichen Debatten so gut wie nicht vorkommen. Die Texte können sowohl beschreiben und fantasieren als auch Machtpositionen in Frage stellen und Konventionen einreißen. Der Abend hat gezeigt, dass ein feministischer Text beides kann.
Zwischen Alltag und Utopie
Die Siegerin hieß Suse Bock-Springer aus Kassel. Ihr Finaltext fand beim Publikum besonders großen Anklang. Sieben Minuten ging es um Brüste und ihre vielfach– wenn nicht sexualisierte – tabuisierte Stellung in der patriarchalen Gesellschaft. Mit Witz und guten Gründen übertrat sie die Schwelle der Scharm, hinterfragte gesellschaftliche Tabus und benannte dessen ernste Folgen wie Brustkrebs. Die Texte zwischen Alltag und Utopie zeigten vor allem eins: feministische Kritik ist längst überfällig.
Thilo ManemannZurück
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