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„Ruido“ (2022) von Natalia Beristáin – Auflehnen gegen Femizide und den Machismo

„Ruido“ (Spanisch für u.a. „Lärm“) ist ein 2022 erschienener Film von Natalia Beristáin und zu sehen auf der Streaming-Plattform Netflix. Die mexikanisch-argentinische Koproduktion handelt von Julia, einer plastischen Künstlerin auf der Suche nach ihrer verschollenen Tochter Gertrudis. Bei einer Reise mit zwei engen Freundinnen verschwand sie vom einen auf den anderen Moment. Während im Fall schon der zweite Staatsanwalt mit einem neuen ersetzt wird, haben die Behörden immer noch keine Informationen. Sie schaut der Tatenlosigkeit nicht länger zu und begibt sich selbst auf die Suche.

Sie sitzt auf seinem Sofa. Auf ihrem Arm ein rotes Tattoo. Frisch gestochen und das gleiche, das auch ihre Tochter trägt. Seit neun Monaten hat sie es nicht mehr an ihr gesehen. Seit neun Monaten hat sie Ger nicht mehr gesehen. Immer und immer wieder ruft sie das gleiche Video von ihr ab, um sie zu sehen. Die rote Tätowierung fällt ihm auf und er fragt, ob es weh getan habe –

Wenigstens habe ich etwas gefühlt.

Sowohl im Film als auch in der Realität ist das Schicksal Gers und das ihrer Familie kein Einzelfall. Der aktuellste Stand während des Films sind 90.000 Verschollene, seitdem der mexikanische Staat 2006 offiziell Krieg gegen die Kartelle erklärt hat. In „Ruido“ bekommen wir einen intimen Einblick in die Leben jener, die immer noch darauf warten, dass ihre Angehörigen auftauchen. Sei es in einer Selbsthilfegruppe oder in einem Suchtrupp – wir befinden uns mitten im Geschehen und es fühlt sich so an, als wären sie direkt neben einem. Diese Nähe in Kombination mit gewissen Szenen lassen das Drama dokumentarisch wirken. Diese Glaubhaftigkeit lassen einen als Zuschauer*in daran zweifeln, ob man noch einen Spielfilm guckt. Dieses Werk mag zwar Fiktion sein, ist allerdings stellvertretend für die Realität.

Unbedingte Solidarität

Es wird kein Zufall sein, dass die Regisseurin ihre Eltern für die Rollen der Eltern von Ger ausgewählt hat. So wird Julia von Julieta Agurrola und Arturo von Arturo Beristáin, gespielt. Ihre Vornamen sind kaum abgewandelt. Ganz so als habe Beristáin gewollt, dass ihre Eltern sich permanent vorstellen müssten, wie es wäre wenn sie als verschollen gelten würde. Ohne Zweifel hat auch das zur Glaubwürdigkeit beigefügt. Diese Entscheidung erinnert mich persönlich an die Rolle der Abril, gespielt von Teresa Ruiz. Sie ist Journalistin und begleitet Julia auf der Suche. Sie ist deutlich jünger und ihre Tochter wartet zuhause auf sie. Die Vorstellung, dass Ähnliches mit ihrer Tochter geschehen könnte, ist der Antrieb ihrer Solidarität. Letztendlich darf dieses Problem nicht allein von den Betroffenen angegangen werden, denn jeder könnte zurzum Betroffenen werden.

Leider wirkt der Dialog die Szene in der klar wird, warum Abril Julia begleitet, etwas offensichtlich und nicht so natürlich wie der Rest des Films. Weiter besteht die Handlung vermehrt von Momenten, in denen die beiden von einem Ort zum anderen müssen, ohne dass demder Zuschauerin Zeit gegeben wird zu verstehen, warum sie dort sind und was das Ziel ist. Besonders wegen der eigentlich sehr realistischen Inszenierung, bringt das aus dem Konzept, da andere Momente im Film beweisen konnten, dass es keinen stetigen Schauplatzwechsel braucht. Diese kleinen Bemerkungen werden aber von einer anderen Szene in einem Reisebus gegen Ende des Films wieder vollkommen gutgemacht. Die Regisseurin schafft dort eine unglaublich die Spannung und bewirkt bei mir noch nach dem Film für Haarsträuben.

Mexiko und der Machismo

Der „Machismo“ ist ein weitverbreitetes und internationales Problem, das die Einstellung von Männern darstellt, die sich als überlegen ansehen und das traditionelle Konzept von Männlichkeit anstreben. Das Wort „Macho“ leitet sich vom spanischen Wort für männliche Lebewesen ab, so werden „macho“ oder „hembra“ meist nur verwendet, um das Geschlecht eines Tieres oder einer Pflanze zu benennen. Machos im gesellschaftlichen Sinne kennt das mexikanische Kino nur zu gut. Umso wichtiger sind Filme wie diese, als klare Ansage gegen den Machismo, Geschlechterrollen und Patriarchat. Gegen Ende von „Ruido“ sollte diese Aussage auch deutlich für diese sein, die es vorher noch nicht verstanden haben.

Wenn der Titel von Lärm spricht, dann wird nicht ausschließlich der Lärm gemeint sein, der Julia über den Film immer wieder verfolgt. Immer wieder plagt sie ein Pfeifen oder ein Klang, der an einen Tinnitus erinnert, während sie in einer Wüste steht. Wie Kopfschmerzen oder ein Fiebertraum erheben sich diese eher surrealen Szenen aus dem sonst realistisch gehaltenen Film. Es ist viel mehr aber der Lärm gemeint, der gemacht werden muss, um auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Der Lärm, der nötig ist um auf die unzähligen Femizide und Entführungen zu verweisen. Der Lärm der essenziell ist, um die Straflosigkeit der Taten in Mexiko, fehlendem oder gar korrupten Handeln der Polizei und der prekären Pressefreiheit aufzuzeigen.

Sebastian Wimmer

ist 17 Jahre alt und in einem deutsch-mexikanischen Haushalt aufgewachsen.
Neben „Ruido“ empfiehlt er auch „BARDO, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten“ von
Alejandro G. Iñárritu – ein weiter gesellschaftskritischer Film aus Mexiko.

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