Der dramatische Rechtstrend, der in Europa stattfindet, ist nicht mehr gekennzeichnet von kleinen, ultrarechten Parteien. Diese grenzten sich in der Vergangenheit durch ihre Kritik am parlamentarischen Rechtsstaat oftmals selbst aus und bekamen nur wenige Stimmen. Konzepte von homogenen Nationalstaaten gepaart mit Kritik an der EU machen Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung von Minderheiten gesellschaftsfähig. Ob die AfD, die Schwedendemokraten, die Lega Nord in Italien oder die FPÖ und ÖVP in Österreich, um nur ein paar Beispiele zu nennen: Immer wieder fallen diese Parteien durch ausländerfeindliche und demokratiegefährdende Äußerungen auf. Sie holen bei Parlamentswahlen überall in Europa mitunter hohe zweistellige Wahlergebnisse, manche von ihnen sitzen in ihrem Land in der Regierung. Ihnen gemeinsam ist die überwiegend EU-ablehnende und EU-feindliche Haltung.
13 Prozent für EU-Feinde
Der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer stuft 19 der 182 Parteien, die bei der Europawahl 2014 antraten, als EU-skeptisch bis EU-feindlich ein. Er ordnet sie als eindeutig rechtsgerichtet ein. Insgesamt haben diese 13 Prozent der Stimmen im EU-Parlament erhalten, stellte Niedermayer fest. Vier Prozent der gesamten Mandate im EU-Parlament seien eindeutig dem gemäßigt rechtsextremen Spektrum zuzuordnen, das klar EU-feindliche Positionen einnehme. Der Rechtsruck im Europaparlament sei insofern zu erkennen, da sich die Anzahl der Mandate der genannten Parteien im Vergleich zur letzten Legislaturperiode mehr als verdoppelt hat. Die Grenzen zwischen rechtsextrem und rechtspopulistisch würden häufig verschwimmen oder sogar ganz verschwinden. Das liege auch daran, dass diese im Europaparlament teilweise geschlossene Fraktionen am rechten Rand bilden.
Warum brauchen wir Europa?
Es ist gerade jetzt sinnvoll, sich daran zu erinnern, warum die EU überhaupt gegründet wurde: Die EU ist ursprünglich eine Idee der Friedenssicherung. Die Kriege des 19. Jahrhunderts um die Vorherrschaft in Europa, der Erste und der Zweite Weltkrieg hatten unsägliches Leid und Zerstörung über den Kontinent gebracht. Nationale Interessen und Konflikte zwischen den Staaten waren dafür verantwortlich, und es wurde klar, dass Friedensverträge nicht viel brachten. Die Idee war es, die Nationen institutionell und ökonomisch aneinander zu binden.
1947 verteilte die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die wirtschaftlichen Mittel des Marshallplans unter den Nationen auf. Kurz darauf gründeten sechs europäische Staaten, darunter Frankreich und Deutschland, mit der Montanunion die erste gemeinsame europäische Institution. Der Schriftsteller Robert Menasse schrieb dazu:
„Es ist kein Zufall, dass die Montanunion als Behörde die Kontrolle von Kohle und Stahl zur Aufgabe hatte. Dies waren nämlich die beiden kriegswichtigen Güter, die entscheidend gewesen sind für den Rüstungswettlauf im Ersten und Zweiten Weltkrieg.“
Robert Menasse
Doch auch wirtschaftlich hatte diese Gemeinschaft einen großen Nutzen: Die Entstehung eines gemeinsamen Marktes durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Das deutsche Wirtschaftswunder ist vor allem durch eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik möglich gewesen.
Nationale Interessen haben die EU-Staaten auch heute noch. Doch was sind diese in Zeiten der Globalisierung? Die„Erasmus-Generation“ in Europa ist mit dem Selbstverständnis aufgewachsen, innerhalb der EU absolute Freizügigkeit zu genießen. Dabei fußen Nationalstaaten eigentlich auf der Idee eines homogenen Gebildes. Genau diese Idee der Nationalstaaten lieferte erst der Grund dafür, die EU zu gründen, um den Nationalismus zu überwinden und Einheit in Vielfalt zu realisieren.
Wie geht es weiter?
Die nächsten Europawahlen werden den herrschenden Rechtsruck vermutlich auch im EU-Parlament deutlich stärker widerspiegeln. Der Ruf nach einer EU als loser Staatenbund mit starken, homogenen Nationalstaaten wird von rechter Seite immer lauter.
Die EU scheint immer schwächer, die Euro-Krise und die Flüchtlingskrise spalten die Europäer. Dazu kommt der Brexit, der die EU deutlich zu lähmen scheint. Die demokratiegefährdende Schwächung der Gewaltenteilung in Polen und trotzigen Haushaltspläne der italienischen Regierung zwingen die EU zu Verfahren gegen innerhalb der EU-Staaten. Die Schere zwischen ihnen wächst und verstärkt die Angst vor sozialem Abstieg. In all diesen Themen scheinen die etablierten Parteien uneins und nicht lösungsorientiert genug zu sein. Dies alles spielt den EU-skeptischen und EU-feindlichen Parteien in die Hände. Kurios: Letztere unterstützt die EU durch Parteienfinanzierung im Jahr sogar noch mit rund 3 Millionen Euro.
Rechtsextreme, aber auch EU-skeptische, rechtskonservative Bestrebungen sind eine konkrete und ernstzunehmende Gefahr für die EU. Dagegen gilt es sich einzusetzen für eine EU als ein konkretes politisches Projekt, das den europäischen Frieden erhält, unseren Wohlstand wahrt und alle Europäer unter einem gemeinsamen Werte-Kanon vereinen sollte. Nur muss dieses Projekt auch mutig und beherzt umgesetzt werden.
Unkonkrete, eher halbherzige Reformversuche, wie die Macrons, reichen nicht, sich gegen die antieuropäischen Ströme zu behaupten.
Es fehlt an Utopie, an Weitsicht und gewagten Ideen, wie sie die Gründungsväter der EU hatten. Diese erkannten, dass ein geeinter Kontinent Europa mehr erreichen kann als ein zersplitterter.
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