Ich habe den ganzen Tag auf seine Antwort gewartet“, sagt Anna. Über Freunde hat die Kölner Studentin einen Typen kennengelernt: Sie waren zusammen feiern, haben getanzt und sich geküsst. Die nächsten Dates waren schon geplant. Seit seiner Ex-Freundin habe er mit keiner mehr etwas gehabt, sagten die gemeinsamen Freunde. Er müsse Anna wirklich mögen. Geantwortet hat er ihr trotzdem nicht. Anna wurde geghostet.
Ghosting – so heißt es, wenn jemand unangekündigt den Kontakt abbricht. Das passiert besonders häufig auf Dating-Plattformen, aber auch in längeren Beziehungen oder Freundschaften. Laut einer Befragung der Partnervermittlung Gleichklang unter ihren Mitgliedern wurde fast jede und jeder Dritte schon einmal geghostet. Betroffene bleiben fragend zurück. Viele denken, sie seien schuld. Sie fragen sich, was sie falsch gemacht haben.
Ich habe an meiner Menschenkenntnis gezweifelt.
sagt auch Anna.
Sie hätte lieber einen Korb bekommen.
„Ghosts“ sprechen nicht aus, dass sie keinen Kontakt mehr wollen. Sie schweigen – und versuchen so, potentiell schwierige Situationen zu vermeiden.
„Auf Dating-Plattformen ist es normal, zu ghosten“, sagt Nicole. Die Studentin ist neu in Köln. Um erste Kontakte zu knüpfen, hat sie sich auf Tinder angemeldet. Meistens schreibt sie mit bis zu zehn Menschen auf einmal. Das werde ihr schnell zu viel. Dann vergesse sie, zu antworten. Manchmal merke sie nach ein paar Tagen, dass sie nicht mehr geschrieben hat. „Auch wenn ich den Menschen mochte, antworte ich nicht mehr“, sagt Nicole. Dafür sei es zu spät. Es könne komisch ankommen, nochmal zu schreiben.
Als Ghosting würde sie das aber nicht betiteln.
Der Mensch kennt mich nicht; es sollte ihm egal sein, ob ich mich melde.
so Nicole.
Anders sei das, wenn man sich schon getroffen hat. Das sei ihr vor einigen Wochen selbst passiert: Sie war feiern und hat einen Typen kennengelernt. Sie haben sich stundenlang unterhalten und Nummern ausgetauscht. Am nächsten Tag habe Nicole ihm geschrieben. Eine Antwort bekam sie nicht. „Das hat mich verletzt“, sagt sie.
So geht es auch Sascha. Der 40-jährige Kölner wurde von seiner Ex-Freundin geghostet. Die beiden waren zwei Jahre lang zusammen. Dann haben sie sich getrennt, waren aber weiterhin gut befreundet. Nach zwei Jahren Freundschaft brach sie den Kontakt plötzlich ab. Für Sascha kam das aus dem Nichts. „Das waren viele schlaflose Nächte“, sagt er. Bis heute lassen ihn die Gedanken nicht los; er frage sich immer wieder: Warum?
Nach der Erfahrung habe er sein eigenes Verhalten reflektiert: Er habe vor Jahren seinen ehemaligen besten Freund aus Schulzeiten geghostet. „Das war so ein ewiger Junggeselle, so sah es bei ihm auch aus“, beschreibt Sascha. Er habe sich bei ihm nicht mehr wohlgefühlt und auch nicht das Gefühl gehabt, das offen ansprechen zu können.
Damals hatte ich nicht den Anstand, zu sagen, dass ich keinen Kontakt mehr möchte.
sagt Sascha.
Nachdem er selbst geghostet wurde, habe er ihm noch einmal geschrieben und sich für sein Verhalten entschuldigt.
Nicole ghostet, weil sie vergisst, zu antworten. Sascha hat geghostet, weil er das Gefühl hatte, dass sein bester Freund nicht mehr zu ihm passt. In der Befragung von Gleichklang haben „Ghosts“ weitere Gründe angegeben: Sie ghosten wegen schlechter Kommunikation, wegen persönlichen Problemen, weil sie mit der Dating-Situation überfordert sind oder Angst vor Konfrontation haben.
Die Kölner Paartherapeutin Anouk Algermissen kann das bestätigen. „Ghosts“ seien meistens Menschen, die mit potentiell schwierigen Situationen umgehen, indem sie sich ihnen entziehen. Das machen sie, wenn sie getriggert werden: Davon, Gefühle für jemanden zu entwickeln oder davon, Kontakt zu jemandem zu haben, zu dem sie eigentlich keinen wollen. „Oft haben sie das schon in der Kindheit so gelernt“, erklärt sie. Durch Ghosting wollen sie die Kontrolle zurückbekommen. Sie denken in dem Moment nicht darüber nach, was das in ihrem Gegenüber auslösen könnte.
Nicht alle Betroffenen verletzt Ghosting gleichermaßen.
Es hängt von der Vorgeschichte eines Menschen ab, wie sehr es ihn trifft, geghostet zu werden.
sagt Algermissen.
Ghosting kann ein Trigger sein, durch den alte Verletzungen wieder hochkommen. Es kann Bindungs- oder Verlustängste verstärken. Algermissen rät Betroffenen, Mitgefühl mit sich zu haben. Sie sollen anerkennen, dass sie nicht schuld an dem Ghosting sind.
Ein neues Phänomen sei der unangekündigte Kontaktabbruch zwar nicht, durch Dating-Plattformen werde er aber alltäglicher. Früher ging jemand „mal kurz Zigaretten holen“, wenn er verschwinden wollte. Heute wird er zum Geist.
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