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In dubio pro mago

Als Harry Potter vor seinem nichtmagischen Cousin zaubert, muss er sich vor dem höchsten Zaubereigericht verantworten. Wäre er auch in unserer Muggelwelt straffrei davongekommen – und hätte die Verhandlung so verlaufen dürfen?

Harry Potter verstößt zu Beginn des fünften Bandes gleich gegen zwei magische Strafgesetze. Zum einen gegen das „Abkommen zur Geheimhaltung der Magie” und zum anderen gegen das „Verbot der Zauberei Minderjähriger”. Aus diesem Grund muss er sich vor dem dem Zaubergamot, dem höchsten Gericht der Zaubererwelt, verantworten. Als Harry den Gerichtssaal betritt erwarten ihn bereits die Richterinnen und Richter, die auf Bänken ringsum sitzen. Er selbst muss nun in ihrer Mitte auf dem Anklagestuhl Platz nehmen. In einschüchternder Atmosphäre wird die Anhörung durchgeführt vom Zaubereiminister Cornelius Fudge, Amelia Bones, der Leiterin der Abteilung für Magische Strafverfolgung und Dolores Umbridge, der ersten Untersekretärin des Zaubereiministers.

Im deutschen Rechtssystem stellt diese personelle Besetzung im Gericht einen klaren Bruch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung dar. Dies meint die Verteilung der Gesetzgebung (Legislative), der Gesetzesausführung (Exekutive) und der Gerichtsbarkeit (Judikative) auf drei verschiedene Staatsorgane, namentlich auf das Parlament, die Regierung und auf eine unabhängige Justiz. In Deutschland ist dies mit Artikel 20 Abs. 2 fest im Grundgesetz verankert. Niemals dürfte zum Beispiel Bundeskanzler Olaf Scholz über einen Fall vor dem Bundesverfassungsgericht entscheiden. In der magischen Welt scheint dies allerdings nicht weiter von Relevanz zu sein.

Die Verhandlung beginnt und Fudge diktiert dem Protokollanten Percy Weasley die Formalitäten: Angeklagt sei Harry Potter wegen eines Verstoßes gegen den Erlass zur vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger und gegen das Internationales Statut zur Geheimhaltung der Magie. Die Beurkundung der Hauptverhandlung kennen wir auch aus § 273 StPO, wonach das Protokoll den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im Wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen muss.

Harry habe laut Anklage vorsätzlich und in vollem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seines Handelns in der Gegenwart eines Muggels einen Patronus-Zauber durchgeführt. Diesen Aufbau bestehend aus dem Tatbestand, der Rechtswidrigkeit, der Schuld und der Strafe liegt auch dem Deutschen Strafrecht zugrunde. In der Angelegenheit Harry Potter besagt das Gesetz klar, dass Magie vor Muggeln eingesetzt werden darf, wenn eine lebensbedrohliche Situation vorliegt. Dies nennen wir einen Rechtfertigungsgrund.

Harry versichert den Richterinnen und Richtern, dass Dementoren in seinem Wohnort gewesen seien und ihn und seinen Cousin Dudley lebensbedrohlich angegriffen hätten. Demnach hätte Harry in berechtigter Notwehr gezaubert hat.

Um dies auf Grundlage des deutschen Strafrechts zu bejahen, brauchen wir als Notwehrlage einen gegenwärtiger, rechtswidrigen Angriff gemäß § 32 Absatz 2 Strafgesetzbuch. Unter einem Angriff versteht man zunächst jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen.

Dementoren sind zwar keine menschlichen Wesen, dennoch werden sie bis zu einem gewissen Grad von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zaubereiministeriums gesteuert. In der Rechtsprechung wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle bejaht, in denen Hunde von ihren Besitzern zu Angriffen aufgefordert wurden. Überträgt man diesen Gedanken auch auf die Dementoren, können wir hier von einem menschlichen Wesen ausgehen.

Ein Angriff ist als gegenwärtig zu beurteilen, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert. Hier mussten Harry und sein Cousin einen Kuss der Dementoren befürchten. Dabei saugen die Wesen ihren Opfern die Seele durch den Mund aus dem Körper heraus. Zur Rechtswidrigkeit liegen uns zwar keine Informationen vor. Wir können aber wohl davon ausgehen, dass der Kuss durch einen Dementor nicht mit der Rechtsordnung in Einklang gebracht werden kann. Eine Notwehrlage liegt somit vor.

Schließlich müsste Harry zur Abwehr des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auch eine zulässige Notwehrhandlung vorgenommen haben. Die Notwehrhandlung muss auch erforderlich gewesen sein, das heißt sie ist geeignet, den Angriff zu beenden und es gibt zugleich kein milderes, ebenso geeignetes Mittel. Beides trifft auf den Patronus zu, den Harry heraufbeschwört, um sich gegen die Dementoren zu wehren.

Nach deutschem Strafrecht ist Harry somit unschuldig. Er erfüllt zwar den Tatbestand und gesteht, dass er gezaubert hat, seine Handlung ist aber durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt.

Nun greift Fudge ein. Gesetze könne man auch ändern, wenn es nötig sei. Im Zweifel würde der Rechtfertigungsgrund aus dem Gesetz gestrichen. Das geht in Deutschland nicht. Nach Artikel 103 Grundgesetz kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

 Als das Hohe Gericht um ein abschließendes Urteil gebeten, wird Harry von den meisten Mitgliedern des Zaubergamot freigesprochen. Gegen Harrys Freispruch votiert neben Fudge selbst auch seine erste Untersekretärin Dolores Umbridge. 

Anmerkung: Das Beitragsbild ist ein Symbolbild und stammt von Artem Maltsev / Unsplash

Lisa Grefer

Lisa Grefer studiert Jura im fünften Semester in Göttingen. Ihr Abitur hat sie in Hogwarts gemacht. Dort war sie im Haus Slytherin.

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