Gebäude aus einer vergangenen Zeit
Nicht zu übersehen ist die großflächig rückständige Modernisierung der Schulgebäude, die mit ihrem heruntergekommenen Erscheinungsbild zahlreiche Stadtbilder bereichern. Zu Modernisierung gehören Sanierung und Digitalisierung – das kostet Geld, welches vielerorts nicht zur Verfügung steht. So muss weiterhin auf den vermutlich in vielen Jahrzehnten noch omnipräsenten Overhead-Projektor gesetzt werden, Schulklos bleiben ohne Seife und die Turnböcke in den Sporthallen sind dieselben, an denen schon unsere Eltern litten. Die Zukunft der Nation wird geschmiedet in Bauten, die heute genauso modern sind wie in den Nachkriegsjahren. So geht Fortschritt!
Verzogene Kinder sind unsere Zukunft
Ein weiterer Aspekt, der keineswegs unbekannt ist und dennoch grob vernachlässigt wird, ist der Mangel an Pädagog*innen. Unzählige Lehrkräfte fehlen. Und die, die nicht fehlen, haben entweder viel Stress oder schon ein Burnout. Aber dann fehlen sie ja auch. Die Herausforderungen, mit denen sich eine Lehrkraft heutzutage konfrontiert sieht, beispielsweise Inklusion oder Digitalisierung, sind offenbar weitaus komplexer als es die Berufsausbildung und Fortbildungen zu vermitteln vermögen. Zudem haben gewaltsame Übergriffe gegen Lehrkräfte zugenommen, was eine zusätzliche Belastung für Betroffene darstellt und die Attraktivität des Berufs enorm verringert. Zu den als unattraktiv geltenden Berufen hat sich also ein weiterer hinzugesellt. Dann bleibt den Kindern nur die Selbsterziehung.
Morgens länger schlafen?!?
Eine der größten Kontroversen des Schulwesens ist die Idee, den Schulbeginn von 8 auf 9 Uhr zu verlegen, um dem Nachwuchs morgens eine Stunde mehr Schlaf zu gewähren. „Welch törichter Einfall!“, mag es aus manchen gegen die Schlafforschung argumentierenden Kehlen ertönen. Aber möglicherweise hat das Narrativ der „Faulenzer-Generation“ mittlerweile selbst bei Boomern an Popularität verloren. Hartnäckiger hält sich vielleicht das Unverständnis für eine Veränderung, die man allein auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnis für die Gesundheit von Kindern vollzieht. Der Plan scheint angesichts des organisatorischen Aufwands für manche undenkbar, für andere mit dem richtigen Willen gut umsetzbar. Stress? Der würde für viele Beteiligte spürbar sinken. Busfahrpläne? Die müssten umstrukturiert werden. Elterntaxis? Davon gäbe es wohl weniger. (Oh Schreck, die armen Kinder!) Ich lehne mich mal weit aus dem (Achtung!) Fenster und wage zu behaupten, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen diese Änderung begrüßen würden, nicht aber aus Gründen der Bequemlichkeit, sondern aus Gründen der Gesundheit und des Wohlbefindens. Ein reger, aber bitte trotzdem gewaltfreier Argumentationsaustausch, gerne auch mit der betreffenden Generation, ist wünschenswert.
Zu viel Stoff, zu wenig Zeit
Eine weitere Problematik sind für Lehrer- wie für Schülerschaft zahlreiche Inhalte in Kombination mit kurzen Schuljahren. Kleine Zeitfenster also. Unglaublich viel Stoff muss den bemitleidenswerten Lernenden in unglaublich kurzer Zeit beigebracht werden. Es existiert keine Lehrperson, die nicht jährlich einen Satz wie diesen zu ihren Klassen spricht: „Das Schuljahr ist sehr kurz und wir haben leider viel Stoff, deswegen müssen wir schnell vorankommen.“ Ganz offensichtlich beginnt im Kampf gegen die Zeit das Hinterherhecheln mit dem ersten Schultag nach den Ferien. Klar, es ist eine völlig abwegige Idee, die Lehrpläne einfach weniger sportlich und dafür etwas machbarer zu gestalten. Man stelle sich einen Schulalltag vor, in dem stressfreies Lernen möglich ist und alle problemlos im Unterricht folgen können! Wo kämen wir denn da hin?
Schule geschafft, nichts gelernt
Hinzu kommt, dass die Inhalte, die in der sehr, sehr kurzen Zeit vermittelt werden können, zu häufig nur Formen von punktuellem Faktenwissen sind, das nach einmaligem Lernen für die Klausur wieder aus dem Gedächtnis verschwindet. Warum sollten wir auch größere Zusammenhänge beleuchten, wie etwa historische Auswirkungen eines Ereignisses in verschiedenen Regionen der Erde? Warum sollten Kinder Themen lernen, die für unsere Zeit wirklich relevant sind, wie Biodiversität und Klimatologie? Warum sollte ein viel größerer und vor allem praktischer Schwerpunkt auf den kreativen Fächern Kunst und Musik liegen? Warum sollte politische Bildung eine viel größere Rolle in sämtlichen Schulen des Landes spielen? Fragen über Fragen. Würde uns ernsthaft zugehört, wüsste jede*r einzelne Bundesbürger*in (Oder vielleicht wissen sie es schon?), dass wir auf die alltäglichen Herausforderungen des Erwachsenenlebens vorbereitet werden wollen: Steuern, Versicherungen, Wohnungssuche, Finanzplanung – Wie funktioniert das? Könnten wir in Mathe vielleicht mal mit einem beispielhaften Monatseinkommen unsere Ausgaben berechnen und dafür die Orthogonalität von Vektoren ein bisschen kürzer halten? Ach nein, geht ja nicht. Das haben wir schon immer so gemacht und selbstverständlich hat sich das so bewährt. Schade. So bleiben unsere Lernfenster doch sehr stark eingeschränkt.
Draußen vor der Schule
Was könnte unsere Lernfenster erweitern? Was wäre eine Bereicherung? Es soll ja so ein irres Konzept mit außerschulischen Aktivitäten geben. Da geht man mit Schulklassen raus. Also richtig raus, nicht nur auf den Schulhof. Exkursionen in Museen, Theater oder in die Natur sind allerdings absolute Raritäten. Sie sind so besonders, dass Kinder so etwas maximal ein Mal pro Schuljahr erleben. Es könnte viel mehr von solchen Aktionen geben: Projektwochen, Workshops, Einblicke in die Kultur und direkte Begegnungen mit Kunstschaffenden würden den Horizont jedes einzelnen Kindes erweitern, sodass alle offener für andere Menschen, Meinungen und Ideen werden. Menschen lernen durch die Erfahrung von Neuem, indem sie durch andere Fenster unbekannte Dinge sehen, in eine andere Welt blicken können. Welch eine Utopie. Nein, der Unterricht findet im Klassenzimmer statt. In der Theorie lernt man schließlich am besten.
Die Anlässe für ein kleines Reförmchen im Bildungswesen sind gegeben. Je länger die Probleme andauern, desto gravierender werden die Auswirkungen, die Fenster der Bildung werden immer enger oder sogar vergittert. Aber wenn man die Jüngsten weiterhin so einkerkern will wie bisher, bitteschön. Geht ja nur um unsere Zukunft.
Foto: unsplash / Feliphe Schiarolli
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