Bis der Amazon-Tower brennt!

Es stellt mit seiner schwarzen Fenster-Fassade, seiner kollosalen Höhe und seiner ausgesprochenen Hässlichkeit das absolute Hassobjekt sowohl alteingessener als auch zugezogener Berliner dar: Der Amazon-Tower.

140 Meter streckt sich das neue Ungetüm von Gebäude in die Höhe und überragt damit alle Gebäude Berlins. „EDGE East Side Berlin“ ist sein Name, doch da der US-Konzern Amazon der Hauptmieter und -nutzer des Gebäudes sein wird, ist es schon jetzt als der „Amazon-Tower“ bekannt.

„Zentral gelegen, nur wenige Meter von der U-Bahnstation Warschauer Straße entfernt, und verbindet zwei der lebendigsten und künstlerischsten Vororte Berlins: Friedrichshain und Kreuzberg.“, so tönt das Projektentwicklungsbüro EDGE auf ihrer Website. Das als architektonisches Wahrzeichen bezeichnete Bauwerk ist der ganze Stolz des, dem Umwelt- und Klimaschutz verpflichteten, Unternehmens. EDGE ist ein Symboldbild des neuen „grünen“ Unternehmertums: Der etablierten Baubranche ist die immer häufiger geforderte Nachhaltigkeit ein großer Klotz am Bein, doch EDGE verspricht, Nachhaltigkeit und brutalistische Architektur zu vereinen. Zahlreiche Gebäude, die bei ihrem modernen Design die Klimakrise mitdenken sollen, hat EDGE schon bauen lassen. Und auch Amazon wollen sie eine neue Heimat bieten.

Sowohl EDGE als auch der US-Konzern Amazon heben ihren positiven Einfluss auf Welt- und Stadtklima hervor. Amazon legt dabei besonders Wert auf den angeblichen sozialen Impact in den angrenzenden Stadtteilen. So inszeniert sich der Konzern als „ein guter Nachbar“: „Am Standort Berlin organisieren unsere Mitarbeiter:innen beispielsweise seit Jahren Lebensmittelspenden für die Tafeln und helfen bei ihrer Verteilung. Es werden regelmäßig Projekte für das Kinder- und Jugendwerk Arche mit Geld- und Sachmitteln unterstützt. Und wir helfen Helfer:innen: In diesem Jahr sind das vor allem Initiativen, die sich für Geflüchtete aus der Ukraine einsetzen. Das wird auch nach dem Einzug in Friedrichshain so sein.“ Damit sollen „nicht nur unsere Kolleginnen und Kollegen etwas von dem tollen, modernen Gebäude haben, sondern das gesamte Viertel“, so Amazon.

Von sozialen Initiativen werden indes die negativen Folgen, die das Megaprojekt auf seine Nachbarschaft hat, betont. „Berlin vs. Amazon“, ein Bündnis von Aktivist*innen und lokalen Initiativen, setzt sich gegen die Niederlassung von Amazon ein. Kritisiert wird das umweltzerstörende und unsoziale Wirken des Konzerns im Allgemeinen, jedoch auch die Folgen direkt in Berlin. Amazon verstärke die ohnehin schon stattfindenden „Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse im Kiez“.

Friedrichshain-Kreuzberg galt in den 1980ern noch als sehr subkulturell und linksalternativ geprägt. Wöchentlich wurden neue Häuser besetzt, am ersten Mai säumten Barrikaden die Straßen und Polizeistreifen mieden den Stadtteil lieber. Seit den 2000ern wird in Kreuzberg ein erbitterter Kampf gegen die Gentrifizierung, also die Verdrängung von Arbeiter*innen durch „Bessergestellte“ im Kontext einer Aufwertung des Stadtteils, geführt. Im Modell der Gentrifizierung geschieht diese Aufwertung dadurch, dass sich in den Stadtteilen der Arbeiter*innen Künstler*innen und Studierende sammeln, die die geringen Mietpreise aufgrund ihrer eigenen prekären Lage gerne annehmen, und im Folgenden das Viertel um ein breites kulinarisches und kulturelles Angebot erweitern. Dadurch wird das Viertel wiederum interessant für Besserverdienende, häufig auch kosmopolitisch geprägte Menschen, die die „alternative Seite“ der Kulturwelt des Viertels gerne annehmen – doch die für sie erhöhten Mietpreise, Renovierungen von Wohnquartieren sorgen für eine Verdrängung der Arbeiter*innenschaft. Und irgendwann werden die Mittelklässler selbst verdrängt, denn der Kreislauf der Gentrifizierung befeuert sich selbst. So wird über wenige Jahrzehnte der ehemalige „Brennpunkt-Stadtteil“ zum Nobelviertel. Und das passiert auch in Friedrichshain und Kreuzberg.

Logisch, dass sich darauf die Kampagne Berlin vs. Amazon gegen das Vorhaben wendet. Aber der Kampf ist wohl eher ein typischer „David gegen Goliath“-Fall: Gegen das Vorhaben, den Tower zu bauen, konnten die Aktivist*innen nicht viel aussetzen, denn selbst nach zahlreichen und jahrelangen Aktionen des Bündnisses: Der Tower steht. 2023 wurde der Rohbau fertiggestellt, noch dieses Jahr soll der Innenausbau fertig werden. Und dann zieht Amazon ein.

Was genau ist jetzt eigentlich das Problem? Amazon verspricht, den Kiez aufzuwerten und in soziale Projekte vor Ort zu investieren. Doch die Folge der Ansiedlung des Konzerns könnte sein, dass soziale Projekte im Stadtteil gar nicht gebraucht, beziehungsweise gewünscht sind. Denn tausende, teilweise auch durchaus gut bezahlte, Arbeitskräfte, die vorrangig für IT- und Managementposten angeworben werden, die müssen auch irgendwo wohnen. Und so – befürchtet Berlin vs. Amazon – wird die Gentrifizierung in Kreuzberg und Friedrichshain weiter vorangetrieben. Stadtteile, die einst Hochburgen vielfältiger und alternativer Kultur waren, der Begegnung verschiedenster kultureller und sozialer Einflüsse, Straßen in denen sich Dönerläden, an Technoclub, an Sozialbau, an besetztem Haus reiht, das könnte bald der Vergangenheit angehören. Dem weichen noble, sanierte Altstadtbauten und Neubauten mit teuren Restaurants und hippen Burgerläden. Das Image, das EDGE und Amazon ihrem großen Projekt geben möchten – das scheint sich in der Realität also nicht wirklich wiederzuspiegeln. Wie lassen sich die Vertreibung von tausenden Menschen aus ihrem Stadtteil und die von Amazon mitversuchten Mietpreiserhöhungen mit ein paar Spenden an die Tafel und an ein, zwei ausgewählte Vereine ausgleichen?

Am 26.10., ein paar Tage kurz vor Redaktionsschluss, gibt es eine große Demonstration durch die Stadtteile. Denn Amazon bereitet in diesen Tagen nun den Einzug in den Tower vor. Hunderte Aktivist*innen ziehen durch Berlin und zeigen, dass sie das Megaprojekt Amazon-Tower in ihrer Stadt nicht wollen – und Amazon feiert, seine Interessen gegen die Stadtgesellschaft durchgesetzt zu haben. Was die finale Ansiedlung des gigantischen Konzerns mittem im „linken Herzen“ Berlins nun mit sich bringt – das wird sich noch zeigen. Die Berliner Rapper von Teuterekordz und PTK machen in einem ihrer Songs klar, wie weit der Protest noch gehen soll: „Bis der Amazon Tower brennt!“

Foto: unsplash / Mikas Jasper Tomaschko

Luca Schneider

Luca Schneider ist 21 Jahre alt und studiert aktuell Politikwissenschaft in Hannover. Seine Lieblingsthemen sind Klima, soziale Bewegungen und Jugendkultur.

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