Filmkritik zu „Millie Lies Low“, der auf der Berlinale seine Premiere feierte und noch bis zum 20. Februar in der Sektion Generation14plus zu sehen ist.
Likes in Form von Herzchen tanzen über den Bildschirm, als die Architekturstudentin Millie (Ana Scotney) ein Selfie auf Instagram postet. Darauf ist sie vor der bunte Leuchtreklame des Times Square zu sehen, die Hand zum Peace-Zeichen geformt. Aber eigentlich ist sie nicht am Times Sqare. Und auch nicht in New York. Genaugenommen hat sie nicht mal den Pazifik überquert. Denn vor dem Abheben bekam sie eine Panikattacke und musste das Flugzeug verlassen. Und nachdem Millie aus der Verzweiflung heraus einmal die Lüge in die Welt gesetzt hat, sie wäre in den USA gelandet, gibt es kein Zurück mehr.
Mit diesem Gefühl ist Regisseurin Michelle Savill nur allzu vertraut. Ausgerechnet auf dem Weg zu einem Filmfestival verpasste sie ihren Flieger und zog für einen Moment in Erwägung, ihrem Freundeskreis nicht davon zu erzählen. Damit war die Idee für ihren neuen in Neuseeland gedrehten Film „Millie Lies Low“ geboren, der hervorragendes Potenzial für eine Komödie bietet: Für ihre Social-Media-Kanäle faket Millie Bildmaterial, muss verkleidet Autoschlüssel aus ihrer WG entwenden und nebenbei viel Geld für ein neues Flugticket auftreiben. Mit jedem Schritt verirrt sich Millie tiefer in ihrer Scheinwelt. Der Film beginnt vielversprechend, zumal er auf Soundebene überzeugende filmische Darstellungen der Panikattacke findet und der sehr diverse Cast hervorsticht.
The idea came about when the last short film I made, Ellen is Leaving, was screening at a festival in France. I missed my flight, and my first thought was ‘I’m going to have to hide for three weeks and pretend I’m in France’.
Michelle Savill im Interview mit deganz (18. November 2021)
Doch „Millie Lies Low“ bleibt in einer Nische zwischen Drama und Komödie haften. Einerseits ist der Film nicht genug an seinem ernsten Ausgangsthema interessiert, um als Drama zu überzeugen. Die Panikattacke erscheint als rein funktionaler Ausgangspunkt von Handlung, da sie nur einmal im Flieger auftritt, sich verbeugt, von der Bühne geht und danach nicht mehr relevant ist. Für eine überspitzte Komödie hingegen traut sich der Film zu wenig Absurdität.
Insbesondere gegen Ende versucht sich der Film mit ausgeleierte Gags über die Zeit zu retten: Millie ist im Kleiderschrank eingesperrt und wird Zeugin, wie ihr Freund lautstark Sex mit einer anderen hat. Hinter einem Müllcontainer muss Millie ihre eingenässten Sachen wechseln und zieht sich bis auf die Unterwäsche aus, anstatt Kleidungsstücke einzeln zu wechseln. Fast nackt läuft sie durch die Straßen, um vom Wind davongewehte Slips aufzugabeln. Diese Momente kommen nicht aus der Figur heraus, sie stellen Millie aus und darunter leidet der zuvor entwickelte Charakter. Als ob jeden Augenblick Til Schweiger um die nächste Ecke biegen könnte.
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