„Ich habe keinen Fernseher“ oder „Ich schaue kein Fernsehen“. Sätze wie diese höre ich zunehmend häufiger in meinem Umfeld, und zwar von Leuten in meinem Alter, Anfang bis Mitte 20. Auch ich selbst lege immer weniger Wert auf das klassische Fernsehen, empfange Zuhause keine Privatsender. Wenn, dann zappe ich mich durch die Mediatheken der Sender.
Das lineare Fernsehen, bei dem Programme eins zu eins gesendet und direkt empfangen werden, verliert vor allem für junge Menschen immer mehr an Bedeutung. Die JIM-Studie 2017 zum Medienumgang Jugendlicher des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest kommt zu demselben Schluss: Fernsehen steht bei der Mediennutzung von jungen Menschen hinter Internet und Smartphone sowie dem Schauen von Online-Videos. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender erreichen die junge Zielgruppe immer weniger. Wie wollen sie diese für ihr Angebot begeistern? In Köln begebe ich mich auf Spurensuche.
„Das lineare Fernsehen stirbt aus“
Henning Dress, WDR
„Das lineare Fernsehen stirbt aus“, stellt Henning Drees vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) fest. Ich bin im Funkhaus des WDR in Köln. Hier setzt man noch auf Altbewährtes, produziert Sendungen, die zu festen Zeiten auf dem Sender zu sehen sind. Das meiste davon kann ich auch in der Mediathek abrufen, immerhin. Das angestaubte Image des WDR, welches fast alle öffentlich-rechtlichen TV-Sender verfolgt, wird es dadurch allein aber nicht los. Ein Lichtblick: „Bei Talksendungen wie ‚Hart aber Fair‘ werden Social Media-Beiträge in die Sendungen eingebunden“, erklärt mir Drees. So kann ich als Zuschauer live das Geschehen kommentieren oder Fragen stellen. Begeistert man damit die jungen Menschen? Ich bin noch nicht überzeugt.
Mädelsabende: Beziehungen, Zukunft, Pizza
Die Idee der WDR-Redakteurin Verena Lammert weckt dagegen mein Interesse: Auf dem Instagram-Kanal „Mädelsabende“ präsentieren Clare, Farah und Naina Stories für junge Frauen, über „Beziehungen, Zukunft und Pizza“, wie in der Beschreibung zu lesen ist. Sie sprechen für das WDR-Projekt über Rassismus, Orgasmen, Depressionen oder Verhütung in sogenannten Themenwochen. Fast 25.000 Followern scheint das zu gefallen. Ich treffe Clare, eine der Presenterinnen, und Marie, Mädelsabende-Redakteurin, in Köln. Beide sind Mitte 20 und noch halb im Uni-Leben. Unverbraucht, sympathisch, frisch – so stellt sich der WDR also sein Programm für die jungen NutzerInnen vor.
„Junge Leute glauben YouTubern und Influencern statt Journalisten“
Clare, Mädelsabende
„Die Sender müssen das lineare Denken aufgeben, um mitzuhalten – die Öffentlich-Rechtlichen sind da leider zu langsam“, sagt Clare. Marie erklärt, dass der WDR darauf hoffe, mit Instagram-Kanälen junge Leute an den Sender zu binden. Später sollten sie dann irgendwann auf das lineare Programm umsteigen. Bei den WDR-Chefs für das Projekt kämpfen müssen die Journalistinnen trotzdem immer wieder. Ob der Plan aufgeht? Clare stellt fest: „Die jungen Menschen haben verlernt, Journalismus zu konsumieren. Stattdessen glauben sie das, was YouTuber oder Influencer ihnen erzählen, ohne es zu hinterfragen.“
Wenige Sekunden lange Videos, in denen Clare, Farah oder Naina mir etwas zu bestimmten Themen erzählen, seien da ein guter Kompromiss. „Immerhin bekommen die Nutzer dann ein paar Infos, und wir benutzen Quellenangaben“, sagt Clare. Für die Zuschauer sei es außerdem wichtig, dass sie sich mit den drei jungen Frauen in den Videos identifizieren können, wie eben auch bei Youtubern. „Wir sind so eine Art Influencer“, sagt Clare. Ein bisschen Infos, schick verpackt in kurze Stories – öffentlich-rechtliche Angebote für Jugendliche wirken ein bisschen wie abgespeckter Journalismus für die erwachsene Zielgruppe.
Deutschlandfunk setzt jetzt auf Podcasts
Nach einem ähnlichen Konzept funktioniert auch Deutschlandfunk Nova, das junge Infoprogramm von Deutschlandradio. „Hannah, 29 Jahre alt, gebildet, ledig“, das ist laut Redakteur Markus Frania die idealtypische Hörerin des Radiosenders. Das lineare Radioprogramm werde zunehmend unwichtiger, stattdessen verschiebe sich alles in Richtung On Demand, sagt Frania. DLF Nova setzt daher immer stärker auf Podcasts, die es unter anderem auf Spotify zu hören gibt. „Das ist eine schöne Entwicklung, die ich nicht erwartet hätte“, erzählt der Redakteur.
Von seinem großen Bruder Deutschlandfunk unterscheidet sich Nova nicht nur durch Popmusik im Programm, sondern auch eine zielgruppengerechte Ansprache. „Sie ist eher umgangssprachlich“, sagt Franzisca Zecher, die die Nachrichten für Nova macht. Sind die jungen Leute denn so viel weniger aufnahmefähig als ältere Leute, denke ich. „Eigentlich müssten Nachrichten insgesamt viel verständlicher sein“, findet Zecher. Doch die Deutschlandfunk-HörerInnen würden viel Wert auf eine anspruchsvolle Sprache legen, um sich von anderen RadiohörerInnen abzuheben.
„Eigentlich müssten Nachrichten viel verständlicher sein“
Franzisca Zecher, Deutschlandfunk Nova
Ist die Sprache, die Präsentierform, also eher zweitrangig? Infos bleiben schließlich Infos, auch wenn sie verschieden herübergebracht werden. Ich stelle fest, dass ein abschätziger Blick auf junge, „coole“ Angebote der etablierten Medien nicht unbedingt gerechtfertigt ist. Und zumindest in Teilen gibt den Öffentlich-Rechtlichen der Erfolg recht: Das Online-Netzwerk „Funk“ von ARD und ZDF für junges Publikum hat einige beliebte Formate im Angebot. Und auch die Zahl der NutzerInnen von „Mädelsabende“ und DLF Nova wächst langsam aber stetig.
Bis die Öffentlich-Rechtlichen die Nutzer von Netflix, Prime und Co. zurückgewinnen können, ist es wohl noch ein weiter Weg. Ein Anfang ist aber gemacht – mit neuen Angeboten, die sich nicht nach den konservativen Vorstellungen von Fernsehen und Radio richten, die die älteren Herren in den Chefetagen der Rundfunkanstalten haben.
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