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EU-Flagge vor Europakarte

EU-Außenpolitik: Dissonanz in der Ode an die Freude

Eine einheitliche Außenpolitik der Europäischen Union ist zwar wünschenswert, aber bei weitem nicht immer sichtbar. Warum ist das so und wie kann in Zukunft eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten in der Sicherheitspolitik aussehen?

Auf dem Schachbrett der internationalen Beziehungen stehen immer die Damen und Könige im Vordergrund – sie scheinen die alles entscheidenden Akteure zu sein, schreiten selbstbewusst über das Feld und vertreten die Staaten und Bündnisse nach außen. In der Europäischen Union trägt die Italienerin Federica Mogherini zurzeit die Krone. Die 45-Jährige ist seit 2014 als Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik im Amt, womit sie zugleich als Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission gilt. 

Alleine lassen sich die anstrengenden und langwierigen Schachpartien auf dem internationalen Parkett beileibe jedoch nicht gewinnen. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) übernimmt alle Aufgaben, vom Bauern, über den Springer bis zum Turm – im Hintergrund aktiv und wichtig, wenn es darauf ankommt. Als demokratisch zusammengesetztes Organ überwacht der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments die Vertretung der EU in der Welt.

Einstimmigkeitsprinzip führt zu außenpolitischer Unbeweglichkeit

Und doch scheint die Macht der europäischen Außenpolitik noch nicht zu freier Entfaltung gekommen zu seien. Erkennen ließ sich dies beim Westbalkan-Gipfel Ende April, vorangetrieben durch Deutschland und Frankreich. Er sollte eine Lösung im jahrelangen Konflikt zwischen Serbien und Kosovo bringen, eine einheitliche EU-Linie war allerdings nicht zu erkennen. So war der Erfolg des Gipfels nur mäßig.

„Die EU muss dringend außenpolitisch handlungsfähiger werden. Dafür müssen wir weg vom Grundsatz der Einstimmigkeit in der Außenpolitik.“

Heiko Maas (SPD)

Als Hindernis auf dem Weg, mit geeinter Stimme zu sprechen, gilt das Prinzip der Einstimmigkeit im Rat für Auswärtige Angelegenheiten, in dem die Außenminister der EU-Staaten zusammenkommen. Beschlüsse müssen die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten erhalten, um greifen zu können – der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) sieht dieses Prinzip als eine Lähmung des politischen Betriebs: „Die EU muss dringend außenpolitisch handlungsfähiger werden. Dafür müssen wir weg vom Grundsatz der Einstimmigkeit in der Außenpolitik. Ein Land darf nicht immer die Möglichkeit haben, alle anderen zu blockieren. In Zukunft sollten auch in einzelnen Bereichen Mehrheitsentscheidungen möglich sein”, fordert der SPD-Politiker. 

Gut gefüllter Werkzeugkasten

In einem Verbund mit 28 Staaten wird die Außenpolitik der Mitglieder im europäischen Raum zur Innenpolitik der EU. Viele verschiedene Meinungen, Interessen und Pläne zu vereinen, gleicht ein Orchester mit 28 verschiedenen Tönen zum Wohlklang zu geleiten. Zurzeit herrscht Dissonanz in der Ode an die Freude. 

Dabei ist der außenpolitische Werkzeugkasten gut gefüllt: Obwohl die Globalisierung aufgrund des Neoliberalismus, des Klimawandels oder der Ausbeutung von Menschen in ohnehin schon einkommensschwachen Regionen oft Kritik ausgesetzt ist, beendete das weltweite Wirtschaftsnetz die Zeiten, in denen die höchste Eskalationsstufe nur einen Schritt entfernt war. Inzwischen sind fast alle Länder der Erde wirtschaftlich so miteinander verflochten, dass kleine Änderungen in den Handelsbilanzen oft große Hebelwirkungen entfalten können. Sanktionen in Form von Embargos, Strafzöllen oder die gezielte Beeinflussung der einheimischen Währung ermöglichen es Staaten, mit geballter Faust zu agieren, ohne zuzuschlagen. So sind finanzielle Werkzeuge zu beliebten Stellschrauben in der Außenpolitik geworden.

Diplomatie kann wirkungsvoll sein

Welche Kraft diese Steuerungsmöglichkeit in Zusammenspiel mit traditionellem Werkzeug entfalten kann, hat das 2015 unterzeichnete Atomwaffen-Abkommen der westlichen Welt mit dem Iran gezeigt. Ein Beispiel für gelungene Diplomatie – in kleinen Schritten, langwierig und dabei doch auf jedes Detail bedacht, ist der ständige Austausch zwischen Diplomaten, Botschaftern und Ministern auf der ganzen Welt die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Außenpolitik, und zugleich die Königsdisziplin. 

Über zwölf Jahre lang wurden Angebote und Absprachen über die Verhandlungstische zwischen der Islamischen Republik Iran und den USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland gereicht. Die Weltmächte versprachen dem Iran Lockerungen der wirtschaftlichen Sanktionen, sollten sie auf den Bau von Nuklearwaffen verzichten. 

Ins Gespräch gekommen ist das Abkommen wieder, da die Vereinigten Staaten vor Kurzem angekündigt haben, sich aus dem Vertrag zurück zu ziehen, während die Europäer versuchen, die Abmachung über verschiedene Ecken zu retten. Der Iran sieht sich als Verlierer, beschuldigt die EU und droht ebenfalls mit dem Ende des Vertrages; die Europäische Union steht hilflos zwischen den Stühlen. 

Keine gemeinsame Außenpolitik mit den USA

Die jüngsten politischen Entwicklungen beweisen, dass gegen die Vereinigten Staaten von Amerika keine Außenpolitik machbar scheint; zu übermächtig ist die Wirtschaftskraft des Kontinents, zu stark das Militär und zu eigensinnig ihr Präsident. Die EU gilt nicht als “big player”. 

Seit Jahrtausenden versuchen Staaten, Imperien und Reiche auf der ganzen Erde, ihrem Machtbestreben mit militärischen Muskelspielen gerecht zu werden. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sprach nach dem Ende des Kalten Krieges vom “Ende der Geschichte”, nicht wenige setzten ihre Hoffnungen dabei auf ein zeitgleiches Ende der Waffen. Fast dreißig Jahre später ist dies allerdings noch nicht in Sicht. 

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union pumpten 2016 zusammen 227 Milliarden Euro in die Verteidigung – die Vereinigten Staaten standen dagegen mit mehr als dem Doppelten alleine an der Weltspitze. Das Dilemma der aktuellen Eigenständigkeit der europäischen Staaten in Verteidigungsfragen zeigt sich bei der Ausrüstung: Während die USA über 30 verschiedene Waffensysteme verfügen, gibt es knapp 180 verschiedene an den Stützpunkten der EU-Mitgliedsstaaten.

Breite Zustimmung für gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

Drei Konzepte, wie die militärische Zukunft des Staatenbundes bis 2025 ausgestalten werden kann, werden innerhalb der EU diskutiert. Die geringsten Veränderungen am Status quo würde eine verstärkte, jedoch freiwillige Zusammenarbeit innerhalb der EU bei Sicherheits- und Verteidigungsfragen ermöglichen. Die zweite Stufe sieht eine Angleichung der nationalen Verteidigungsplanung sowie eine enge Kooperation mit der NATO vor, während die Europäische Union sich durch Verflechtung in die Nationalstaaten und deren Militär nach außen als Kollektiv präsentieren möchte. Noch stärker wäre dies im dritten Szenario der Fall: Eine gemeinsame europäische Verteidigung, ein militärisches Bündnis als Ergänzung zur NATO, doch ebenso machtvoll. Ein übergreifender Verteidigungshaushalt soll geschaffen, einheitliches Material zur Verfügung gestellt und nach außen mit einer starken Stimme gesprochen werden.

„Wenn sich die Europäische Union in Richtung Staat bewegen sollte, würde sie zum Kriegsherren.“

Dieter Langewiesche, Historiker

Laut aktuellen Umfragen erfahren diese Visionen breite Zustimmung der EU-Bürger: Mehr als 70 Prozent haben sich 2016 dafür ausgesprochen, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik des Verbundes zusammenzulegen. So hallt es immer wieder durch die Brüsseler Hallen und Medien, der „Traum einer europäischen Armee”, Soldaten mit den zwölf goldenen Sternen auf der Uniform. Geht es nach dem Historiker Dieter Langewiesche, verliere die EU damit ihren universellen Charakter als einzigartiges Friedensprojekt: „Außerhalb Europas tritt die Europäische Union in militärischen Konflikten nicht als ein Akteur auf, der über eine eigene Armee verfügt. Doch auch hier ist die Entwicklung offen. Wenn sich die Europäische Union in Richtung Staat bewegen sollte, würde sie zum Kriegsherren.” 

Noah Heinemann

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