blog.jungepresse.de

„Die Frau hatte gar nichts zu sagen“

Sexismus hat viele Gesichter. Auch wenn er sich in den letzten Jahren entwickelt hat, ist unsere Gesellschaft doch immer noch täglich damit konfrontiert. Denn auch wenn wir uns schon weit entwickelt haben, gibt es heute immer noch Sexismus. Ein Text über Streberinnen, meine Oma und den Wandel der Zeit.

Jetzt hab dich mal nicht so, das ist doch nur Spaß“ – so oder ähnlich haben sich das wohl schon die meisten Frauen anhören müssen. Egal ob auf der Straße, im persönlichen Umfeld oder am Arbeitsplatz – Sexismus ist auch im Jahr 2020 noch allgegenwärtig. In den letzten 50 Jahren hat sich einiges verändert; frei von Sexismus sind wir, unsere Gesellschaft, dadurch noch lange nicht.

Sexismus – so vielfältig wie die Gesellschaft

38 Prozent der Frauen haben schon einmal Sexismus am Arbeitsplatz erlebt. Dies zeigt eine Studie des OnePoll-Instituts aus dem Jahre 2017. Sexismus kann ganz unterschiedlich aussehen: angefangen bei abfälligen Bemerkungen, geringerer Bezahlung bis hin zu ungleicher Chancenverteilung für beruflichen Aufstieg. Gerade in der Arbeitswelt könnte man meinen, Sexismus gehöre zum guten Ton. Zumindest ist er immer da. Wie allgegenwärtig er ist, kristallisiert sich schon in der Schule heraus. Wo Mädchen ganz selbstverständlich zu Lehrer*innenlieblingen deklariert werden, weil sie eben brave und fleißige Mädchen und sowieso besser als Jungen sind. „Du bekommst deine guten Noten doch sonst wie“ oder „Ist ja klar, dass der Lehrer dich immer dran nimmt, du bist ja auch ein Mädchen“ – das musste auch ich selbst mir schon so manches Mal anhören. Mädchen würden von Lehrer*innen nun einmal bevorzugt – ein typisch männliches Argument, um eventuelle Leistungsunterschiede in der Schule zu begründen. Weiter geht es mit dem Gender Pay Gap, der laut dem Statistischen Bundesamt seit 2002 übrigens nahezu bei 21 Prozent liegt. Gründe dafür liegen überall zwischen geringeren beruflichen Chancen aufgrund der Familie bis hin zu einer geringeren Rente für Frauen. Letztere wurde im Jahr 2014 von dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erforscht. Demnach bekommen Frauen in den neuen Bundesländern 23 Prozent und in den alten Bundesländern 42 Prozent weniger Rente. 

Die ganze Problematik umfasst natürlich auch gewisse Faktoren, wie zum Beispiel, dass Frauen aufgrund der klassischen Rollenverteilung eher halbtags arbeiten. Außerdem gehen Frauen häufiger und länger in Elternzeit und bleiben auch häufiger nach deren Ende zu Hause als Väter.

Eine Reise in die Vergangenheit: Die Autorin mit ihrer Großmutter | Foto: ptivat

Aber es hat sich doch schon so viel geändert…

Vor einhundert Jahren sah die Stellung der Frau in der Gesellschaft jedenfalls noch ganz anders aus. Kurzer Rückblick: 1918 erhielten Frauen in Deutschland das Wahlrecht, ab 1959 durften Frauen in der BRD ihr eigenes Vermögen verwalten. Sie konnten nun auch ohne Zustimmung des Ehemannes ein Bankkonto eröffnen.

In dieser Zeit hat auch meine Oma angefangen zu arbeiten. Nach ihrer Ausbildung zum Bürokaufmann in den 1970er Jahren wurde sie nach mehrjähriger Berufserfahrung bei Umstrukturierungsmaßnahmen entlassen, da ihr Mann ein geregeltes Einkommen hatte. Als sie nach ein paar Jahren wieder berufstätig war, war sie häufig mit Sexismus und unfairen Bedingungen konfrontiert. „Als Frau musstest du eigentlich immer doppelt so gut sein wie ein Mann, um das Gleiche zu erreichen“, erzählt sie heute. Damit meint sie zum Beispiel Anerkennung und Akzeptanz. „Männliche Kollegen wurden besser behandelt, auch wenn sie weniger Ahnung hatten. Manchmal musste ich sogar meinem Chef noch bestimmte Dinge erklären.“

„Jetzt fang´ nicht schon wieder damit an!“

Das Vermeiden von feministischen Gesprächen und Diskussionen ist eine typische, aber nicht ausschließlich männliche Haltung. Der Begriff Feminismus wird im Alltag oft falsch verwendet oder falsch aufgenommen, weil jede*r ein unterschiedliches Verständnis von dem Thema hat. Vielleicht, weil wir scheinbar immer darüber reden, vielleicht aber auch, weil Sexismus in unserer Welt für einige seit längerem ausgestorben und ein vermeintliches Problem der Vergangenheit ist. „Ich bin keine Feministin, weil ich nicht ungleich behandelt werde.“ Diesen Satz habe ich schon häufiger von Frauen zu hören bekommen. Doch Tatsache ist, dass uns nicht immer bewusst ist, was Sexismus genau ist und wo er überhaupt anfängt. Denn auch wenn das nicht immer jedem*r klar ist: Schon ein dahin gesagtes: „Du kannst bestimmt kochen, du bist ja auch eine Frau“ diskriminiert das weibliche Geschlecht. Denn daran sind Erwartungen, einem bestimmten Rollenbild zu entsprechen, geknüpft – wer da herausfällt, mit dem stimmt anscheinend etwas nicht. Aber auch indirekter Sexismus existiert, zum Beispiel wenn Menschen die Existenz von Sexismus allgemein oder in auch in konkreten Situationen leugnen.

Das Vermeiden von feministischen Gesprächen und Diskussionen ist eine typische, aber nicht ausschließlich männliche Haltung.

Außerdem ploppt bei dem Wort Feminismus bei vielen direkt ein ziemlich klischeehaftes Bild im Kopf auf. Gerade weil das Thema schon so lange in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Doch spätestens seit der Frauenbewegung in den 1980ern haben viele das Bild einer Kampfemanze mit Kurzhaarschnitt und superlangen Achselhaaren vor Augen, wenn von Feministinnen die Rede ist. Aber genau dieses Bild sollte von der Realität eingeholt werden. Denn der Feminismus ist genauso vielfältig wie seine Anhänger*innen. Ob betont viel oder gar kein Make-up, ob betont feminine oder besonders männliche Kleidung, ob keine Kinder oder eine Großfamilie, ob fünfzehn oder fünfundsiebzig Jahre alt. Der Feminismus hat sich inzwischen weiterentwickelt. Und genau deswegen sollten wir weiter über Feminismus und Diskriminierung reden und alte Klischees sprengen. Denn wenn wir, die junge Generation, die Gesellschaft nicht verändern, wer soll es dann tun?

Der Blick in die Zukunft

Werden wir wohl irgendwann hundertprozentige Gleichberechtigung erleben? Das Weltwirtschaftsforum hat die Entwicklungen der Gleichberechtigung in den letzten Jahrzehnten analysiert und prognostiziert, dass eine Gleichberechtigung in allen Bereichen wohl erst in 202 Jahren eintreten wird, wenn der Prozess dahin mit der gleichen Geschwindigkeit voranschreitet wie in den letzten Jahren. Mit Sicherheit lässt sich das aber natürlich nicht sagen. Und auch wenn wir in dem letzten halben Jahrhundert große Fortschritte erlebt haben, fehlt uns zu kompletter Gleichstellung doch noch so einiges. Wir werden also in den nächsten Jahren noch viel zu erkämpfen haben. Meine Oma hingegen ist da zuversichtlich: „Vielleicht haben wir es ja geschafft, wenn du irgendwann mit deinen Enkeln darüber sprichst.“

Rieke Duhm

Rieke Duhm ist 17 Jahre alt, im Vorstand der Jungen Presse Niedersachsen und geht noch zur Schule. Sie hat eine Leidenschaft für Politik und Journalismus - am besten gefällt ihr gerade die Mischung daraus.

Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

  • Es ist in jeder Generation wichtig, über diese Themenvielfalt zu sprechen. Jede Generation hat anders geprägte Sichtweisen. Aber keine sollte sofort bewertet oder abgeschmettert werden. Sondern es gilt, Ideen zu sammeln und immer wieder aus „Junger Perspektive“ zu diskutieren.