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Klimastreik ohne Ende – Hunger, Schlaf und Interviews

24 Tage Hungern: Jacob Heinze riskierte sein Leben, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Die Aktion ist umstritten.

“Ich schaue lieber mal, was die Bundesliga so macht”, sagt ein etwas hagerer Mann im schlabbrigen Pullover und holt sein Handy aus der Hosentasche. Eine Handvoll junger Erwachsener sitzen im Kreis auf dem Gras, zwischen ihnen liegen Gesellschaftsspiele. An der Glasfront des Paul-Löbe-Hauses spiegelt sich die untergehende Sonne. Inzwischen ist es 18.05 Uhr, die meisten Wahllokale schließen. Anderswo kommen die ersten Prognosen und Hochrechnungen. Auf der anderen Straßenseite, in den Räumen der Abgeordneten, beginnt bald eine neue Legislaturperiode. Für die jungen Erwachsenen im Camp ist es der letzte Abend, ihr Kampf gegen den Hunger ist vorbei. Am nächsten Tag bauen sie das Lager ab.

24 Tage. So lange hat Jacob Heinze protestiert. Hat keinerlei Essen zu sich genommen. Er ist in der Zeit zum Medienprofi geworden. Heinze schnappt sich einen Plastikstuhl für das Interview und fängt an zu erzählen: „Jacob Heinze, mit c und wie der Ketchup“. Er rattert seine persönlichen Daten herunter. 27 Jahre ist er alt, ehemaliger Psychologiestudent aus Hamburg, momentan wohnungslos. Zusammen mit sechs anderen Aktivist*innen hat er sich am 30. August auf eine Wiese in der Nähe des Bundestags gesetzt. Neben dem Eingang steht ein Holzschild mit der Aufschrift “Hungerstreik der letzten Generation”, darunter eine Strichliste wie aus einer Gefängniszelle. Ein Pinselstrich für die Anzahl der Tage, die sie gehungert haben. Ihre Forderungen: Ein öffentliches Gespräch mit allen drei Spitzenkandidat*innen zur Klimapolitik. Sie sollen Bürger*innenräte auf Bundesbene einrichten, die verbindliche Klimaschutz-Maßnahmen beschließen können.

Mit dem Essen hat es angefangen

Vor dem Hungern hat Jacobs Aktivismus mit Essen angefangen. Nachdem er sich mit Tierhaltung beschäftigt hatte, begann Heinze sich im Alter von etwa 24 Jahren vegan zu ernähren. Irgendwann lud ihn eine Freundin zu einem Treffen von Extinction Rebellion ein, einer Gruppe von Klimaschutzaktivist*innen. Im Namen des Protests ketten sie sich an Brücken, kleben sich an Fensterscheiben, färben Flüsse rot. “Ich wusste nur, das sind so Leute aus England, die machen irgendwas mit zivilem Ungehorsam.” Bevor Jacob Heinze den Aktivismus für sich entdeckt hat, hatte er das Ziel, als Fußballtrainer die Welt zu verändern. Gegen Rassismus aktiv zu werden. In Anbetracht der Klimakrise erschien ihm das nicht ausreichend. Er informierte sich immer weiter. Während der letzten Jahre war er überall, wo man als Aktivist so sein kann: Er habe Flugzeuge blockiert, sei in Kohlegruben gewesen, in Baumhäusern im Dannenröder Forst. Ein Leben für den Klimaschutzaktivismus. “Time is running out”, sagt er und lacht.

Der Hungerstreik sei der nächste logische Schritt, sagt er. Daran gefällt ihm die Bildhaftigkeit: Hungernde Menschen als Symbol für möglichen Folgen des Klimawandels. “Wenn Leute den Wald besetzen, dann sind es halt Waldfreunde”, erklärt er. Durch die drastische Aktion erhofft er sich, dass die aus seiner Sicht hoffnungslose Klima-Situation deutlicher werde.

Wärmflaschen und Decken haben Unterstützer*innen gespendet | Foto: Daniel Düsterdiek

Also haben sich die Aktivist*innen am 30. August auf die Wiese gesetzt und mit ihrem Hungerstreik angefangen. Zunächst stand nur der Entschluss, kein Zelt, keine Infrastruktur. Doch mit jedem Tag seien neue Dinge von Unterstützenden (“Supporties”) hinzugekommen. Rund einen Monat später, am Tag der Bundestagswahl, ist es ein kleines Camp mit Zelten, die kreisförmig aufgestellt sind. Es gibt ein improvisiertes Bad, Schlafzelte, einen Pressebereich. Am Eingang: Eine Bienenwabe aus Holz als Kunstinstallation. Dazu in roten und weißen Lettern der Schriftzug “Kapitalismus tötet uns”. Die Aktivist*innen haben sich fast häuslich eingerichtet. Jacob Heinze sagt, ein Ende des Streiks hätten sie nicht geplant. Hungern, bis es nicht mehr geht.

Die erste Birne nach 24 Tagen

Zwei Tage vor dem Interview mit Jacob Heinze kündigen die Streikenden den “Hungerstreik der letzten Generation” an: Ab jetzt wird auch kein Wasser mehr getrunken. Jacob Heinze macht da nicht mit. Für ihn geht der Kampf um die Klimagerechtigkeit weiter. Er hat seinen Schlussstrich bei 58,7 kg Körpergewicht gezogen. Jetzt steht “Refeeding” auf dem Plan. Langsam kehrt er in das Reich der Lebenden zurück, wie er sagt. Über eine einzelne Birne hat er sich zum Zeitpunkt des Gesprächs zum Porridge hochgearbeitet.

“Gott sei Dank ist es zu Ende”, sagt Matthias Miersch (SPD) und seufzt. Am Sonntag hat er seinen Wahlkreis Hannover-Land II bei der Bundestagswahl verteidigt. Den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden bewegt vor allem eine Frage: “Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn es weitergegangen wäre.” Dem Hungern im Regierungsviertel hätte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz grundsätzlich schnell eine Ende setzen können, indem er der Forderung nach einem zweistündigen öffentlichen Gespräch gefolgt wäre. “Aber wir dürfen uns nicht erpressbar machen”, erklärt Miersch. Während die SPD versuche, ihr Gesicht zu wahren, blieben in seinem Hinterkopf die Aktivist*innen, die Stunde um Stunde an Gewicht verlieren.

Jacob Heinze weist den Vorwurf der Erpressung entschieden von sich. Den Schaden sieht er einzig und allein bei sich. Als Jurist hat Matthias Miersch schon recherchiert, ob im Notfall medizinisches Eingreifen erlaubt wäre. Nach seiner Interpretation sei es möglich, die Aktivist*innen zwangsweise zu ernähren.

So oder so gewonnen

Inzwischen stapeln sich auf der Wiese vorm Paul-Löbe-Haus gusseiserne Töpfe. Davor war Essen nur abgeschirmt in einem Zelt erlaubt. Die Aktivist*innen wollten nicht sehen, wie ihre Unterstützenden essen. Auf einem Tisch erkennt man die Überreste einer Mahlzeit.

24 Tage Hungern – Jacob Heinze im Gemeinschaftszelt | Foto: Daniel Düsterdiek

Nach dem langen Fasten möchte Klimschutzaktivist Heinze all das wieder genießen, worauf er so lange verzichtet hat. Doch sein Magen ist geschrumpft. Sein Körper macht noch nicht mit, mehr als kurze Spaziergänge seien für sein Herz nicht drin. Physisch geschwächt, aber mental gestärkt geht Jacob Heinze aus dem Protest hervor. “Es hat sich wie ein krasser Sieg angefühlt”, sagt er. Den Hungerstreik beschreibt er als “effektiv”, die Aktivist*innen hätten so oder so gewonnen. Egal ob sie den Hungerstreik bis zum Ende durchziehen, oder aufhören, bevor er tödlich endet. Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU) hätten ein öffentliches Gespräch nach der Wahl angeboten.

Wie es nach dem Abbau des Camps weitergeht? Erstmal durch die Bundesrepublik, verschiedene Organisationen hätten die Aktivist*innen für Gesprächsrunden angefragt. Ein paar Protestierende planen eine WG in Berlin. Eine Basis für weitere Aktionen, wie Jacob Heinze sagt. Sein Protest ist nicht vorbei.

Anna Abraham und Daniel Düsterdiek

Anna läuft in ihrer Freizeit gerne durch die Gegend und befragt Menschen zu allem möglichen. Ansonsten klettert sie oder träumt von Radtouren. Gerade wohnt sie in Hannover.
Daniel baut beruflich Grafiken und Videos, zückt für die JPN aber gerne mal Kugelschreiber und Notizblock.

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