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„Respekt“ im Wahlprogramm der SPD

„Respekt für Dich“ – wer wünscht sich das nicht? Warum und wie die SPD für Respekt wirbt, und was dieser Respekt möglicherweise mit dem Wahlsieg zu tun hatte.

„Respekt für Dich“ steht auf den Wahlplakaten der SPD in ganz Deutschland. Neben den Worten lächelt Olaf Scholz, schwarz-weiß auf rotem Hintergrund, den fragenden Blicken ruhig entgegen. Was soll das heißen, „Respekt für Dich“? Und hat das Versprechen um Respekt vielleicht etwas mit dem Wahlsieg der SPD zu tun?

Genau 28-mal – so oft taucht das Wort Respekt in den rund 60 Seiten des Wahlprogramms der SPD auf, das Inhaltsverzeichnis ausgenommen. Zum Vergleich: in den 140 Seiten der CDU wird von Respekt nur sechs Mal gesprochen, im Wahlprogramm der Linken nur drei Mal. Bei den Sozialdemokrat*innen hingegen liest man: „Wir stehen für eine Gesellschaft des Respekts“ und „Wo dieser Respekt fehlt, zerfällt unsere Gesellschaft“. Was aber ist mit diesem Respekt gemeint?

Mehr als Kita, Kultur und Rente

Die Liste der Antworten auf diese Frage, die sich im Wahlprogramm der SPD finden lassen, ist beinahe so lang wie das Programm selbst und reicht von bezahlbarem Wohnen über kostenlose Bildung bis hin zu Kita, Kultur und verlässlichen digitalen Diensten. Außerdem stelle sich eine Gesellschaft des Respekts gegen Hass und Hetze, Diskriminierung und rechtsextreme Kräfte. Das ist viel. Aber Respekt, ist das schon Respekt?

Respekt – irgendwo dazwischen

Im Duden wird Respekt als auf Bewunderung, Anerkennung oder höherer hierarchischer Stellung beruhende Achtung gegenüber einem anderen Lebewesen oder einer Institution beschrieben. Der Respekt findet sich also weder in den Personen, noch in den Institutionen wie Kita oder Altersheim, sondern in der Beziehung dazwischen. Der Eindruck, dass Respekt zwischen den Menschen liegt, verstärkt sich in einem Beitrag des Deutschlandfunks, hier wird Respekt als ein „soziales Schmiermittel“ beschrieben. Denn ohne Respekt sei ein gutes, produktives Arbeitsklima unmöglich. Dr. Niels van Quaquebeke, ein langjähriger Forscher zu Respekt, differenziert zwischen zwei Formen von Respekt: dem vertikalen Respekt, der einer anderen Person Führungsfunktionen zugesteht, und dem horizontalen Respekt, der die Gleichwertigkeit der Anderen anerkennt. Der Moralphilosoph Stephen Darwall unterscheidet zwischen anerkennendem und bewertendem Respekt. Dabei ist es der anerkennende Respekt, der beispielsweise eine andere Religion, trotz großer Differenzen, als gleichwertig empfindet. Er lässt sich mit dem horizontalen Respekt vergleichen. Der bewertende Respekt übt Kritik und Bewunderung, und ähnelt sehr dem vertikalen Respekt.

Matthias Miersch im Gespräch mit den Teilnehmenden des Bundestagswahl-Reportageseminars in Berlin | Fotos: Daniel Düsterdiek

Was sagt die SPD?

Ein Gespräch mit Dr. Matthias Miersch (SPD) wirft Licht in das Dunkel um die Frage nach dem Respekt. Miersch berichtet von langen Diskussionen über die genauen Begrifflichkeiten des Wahlprogramms im SPD-Parteivorstand mit unter anderem Generalsekretär Lars Klingbeil. Bei dem Begriff Respekt, so Miersch, gehe es grundsätzlich um Empathie für andere. Respekt drücke aber noch einen gewissen Mehrwert aus, ein gewisses Etwas „on top“. Warum Respekt gerade heute so wichtig ist? Miersch verweist auf den öffentlichen Diskurs, auf die Medien. Die Grenzen zwischen Kommentaren und Sachberichten würden unscharf, ja, seien vom Verwischen bedroht. Polarisierung treibe unsere Gesellschaft auseinander, und das führe dazu, dass man nicht mehr miteinander redet. Hier setzt dann der Respekt ein: In seiner anerkennenden Qualität soll er Gräben überwinden und bewirken, dass die Menschen wieder miteinander reden. Denn nur dort, im Miteinander, liege eine würdige Zukunft. Respekt ist also als „Schlüsselbegriff“ im Zukunftsprogramm der SPD zu verstehen, als Schlüsselbegriff in der Struktur der Gesellschaft.

Wie verhalf Respekt der SPD möglicherweise zum Wahlsieg?

Es stellt sich die Frage: kann es das Versprechen um ein „soziales Schmiermittel“ sein, das der SPD zum Wahlsieg verholfen hat? Kann es das Versprechen um die Bemühung für anerkennenden Respekt sein, der seine tatsächliche Wirkung erst so richtig in kleinteiliger Zwischenmenschlichkeit zeigt? Wenn es denn nicht der Begriff selbst Respekts war, der zum Wahlsieg verholfen hat, so war es vielleicht die Programmatik, die, wie sie im Wahlprogramm der SPD beschrieben wird, zu einem solchen Respekt führt. Es deutet aber einiges darauf hin, dass die andere Art von Respekt eine noch wichtigere Rolle gespielt hat: insbesondere, wenn es um die Frage nach dem Kanzlerkandidaten geht sollte der vertikale Respekt nicht unterschätzt werden. Das Gesicht hinter „Respekt für Dich“ war noch vor wenigen Jahren „gewissermaßen das Antlitz von Hartz IV, Rente mit 67 und Groko, und sollte verschwinden.“, so heißt es in der FAZ zu Olaf Scholz. Zwischen Lachern und Patzern der anderen Kandidat*innen strahlt nun aber eben dieses Gesicht eine vertrauenerweckende Ruhe und Beständigkeit aus.

Der ideale Chef

Dr. Niels van Quaquebeke erklärt, dass bei der Entscheidung, wen wir als Führungsperson akzeptieren, vor allem eine Frage wichtig ist: „Wie stelle ich mir idealerweise einen Chef vor“? Nach 16 Jahren Angela Merkel – ist es da verwunderlich, dass die Fantasie der Deutschen hakt und der Respekt ganz automatisch einem Haltungsverwandten zufließt? Und auch, nachdem die meisten Politiker ältere, bedachte Herren sind, ist es da so verwunderlich, dass der Respekt eher dort hin und nicht zur rheinischen Frohnatur oder zu einer für Erneuerung werbenden Frau sich wendet? Das Antike Römische Gesetzt schreibt zur Ehre, beziehungsweise dem Respekt, folgendes: „Die Ehre [/der Respekt] ist der Zustand von nach geltenden Sitten und Gesetzen unversehrter Würde, welche nach einem Verbrechen durch die Autorität der Gesetze verringert oder aufgehoben wird.“ In einem Beitrag der SZ sagt ein Supermarktleiter zu Olaf Scholz: „Er ist der einzige der Kandidaten, der sich noch nicht blamiert hat.“ Die Konkurrent*innen des SPD-Kanzlerkandidaten haben also nach „geltenden Sitten und Gesetzen“ Kratzer in ihrer Würde zu verzeichnen. Es sind Einbußen im Respekt der ihnen gezollt wird. Verhältnismäßig glatt und ruhig steht es um die „Ehre“ des SPD-Kanzlerkandidaten. Der Wahlplakat Slogan „Respekt für Dich“ neben dem Gesicht von Olaf Scholz ließe sich also auch andersherum lesen: Nicht Respekt für Dich, die lesende Person, sondern Respekt für Dich, Herr Scholz.

Wo der Respekt bröckelt

Bei der Kanzlerfrage geht es also um vertikalen Respekt und darin hat die SPD wenig zu beklagen, nach dem Wahlsieg wohl eher einiges zu bejubeln. So rosig sieht es aber nicht für alle SPD-Führungspersonen aus. Saskia Esken zum Beispiel ist viel zu oft nur lückenhaft fundierter Kritik an ihrer Person ausgesetzt. So werden manche ihrer Statements aus dem Zusammenhang gerissen und in einer Talkshow bei Anne Will wurde sie konsequent mit falschem Namen angesprochen. Die FAZ schreibt dazu: „Solche Respektlosigkeit hat gegenüber Frau Esken System.“

Ein zu großes Versprechen?

Das Beispiel mit Saskia Esken zeigt, dass vertikaler Respekt immer nur an eine bestimmte Person geknüpft ist und nicht von einem generell respektvollen Umgang zeugt. Vertikaler Respekt wird eher instinktiv und nach persönlichen Vorlieben vergeben. Der horizontale, anerkennende Respekt dagegen muss durch permanente Bewusstseinsarbeit gestärkt werden. Es bleibt noch offen, ob es der SPD gelingen wird, diese Art von Respekt zu fördern, und damit das eigentliche Versprechen des Wahlprogramms einzulösen. Sicher ist jedenfalls, dass „Respekt für Dich“ein großes Versprechen ist. Ob es aber, für das Wahlprogramm einer Partei, vielleicht ein wenig zu hoch gegriffen ist?

Rosa Schniedrig

Rosa ist 22 Jahre alt und studiert Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim. Bei Geburt hieß sie noch Rot, doch nach zu häufigem Bleichen der Haare wurde daraus ein beunruhigend blasses Rosa.

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