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Lachen bis der Schnitt kommt

Die Hansestadt Bremen hat vieles zu bieten: Schulden, Zweitligafußball, Abitur auf leichtem Wege. Und: Comedians in Hülle und Fülle. Bei Radio Bremen flimmerten sowohl Loriots Knollennasenmänner als auch Rudi Carrells Fernsehshows über die Mattscheibe. Dort wurde auch der junge Hape Kerkeling entdeckt, der später mit Kunstfiguren und Sketchen bekannt wurde. Und auch Lyrik über den türkischen Präsidenten blüht in Bremen, denn dort wurde der Satiriker und Fernsehmoderator Jan Böhmermann geboren. Da erscheint es fast unausweichlich, dass sich das Filmfest Bremen dem Humor verschrieben hat. Damit ist ein in Deutschland ein Unikat. Vom 22. bis 24. April fand die neue Ausgabe in der Hansestadt statt und präsentierte 180 Filme aus 38 Ländern. Den Auftakt als Eröffnungsfilm machte Berlinale-Gewinner RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH. Noch immer reiben sich Kritiker*innen die Augen, dass eine Comedienne den silbernen Bären als beste Schauspielerin abräumen konnte.

Einmalig in Deutschland: Humor im Mittelpunkt

„Ich habe einen sehr einfachen Humor. Je flacher, umso besser“, gesteht die Jurorin Ipek Zübert beim Jurypanel Humor. Und das macht den Charme in Bremen aus: Hier geht man nicht zum Lachen in den Keller, hier werden Komödien nicht in das Begleitprogramm verbannt. „Humor ist immer ein schmaler Grad und für mich die Königsdisziplin“, unterstreicht Jochen Coldewey von der nordmedia die Bedeutung des Humors. Denn die Tragödie sei unser menschlicher Alltag, der Humor hingegen müsse erst gefunden werden. In der deutschen Filmlandschaft sind Komödien große Mangelware und werden von der Kritik nur müde belächelt. Das bringt Juror, Schauspieler und Filmemacher Jan Henrik Stahlberg auf die Palme. „Man sagt immer, Humor sei ja nur persönlicher Geschmack. Aber Drama ist auch Geschmack, die ganze Kunst ist Geschmack. Humor ist ein Handwerk wie alle anderen Kunstformen auch.“

Panel zur Rolle des Humors im Film | Foto: Silas Degen

Humor ist nicht gleich Comedy. Humor kann beiläufig sein, eine Komponente unter mehreren Gefühlslagen, subtil oder von hinten durch die Brust ins Auge. So liefen in Bremen auch Filme, die sich ernsten Themen verschrieben haben. In THEATER REEPERBAHN kehrt eine obdachlose Schauspielerin zum Schlafen in ihr altes Theater zurück und entdeckt die Bühne wieder für sich. Und im finnischen Beitrag LADYS OF STEEL begeben sich drei ältere Damen, die fast schon mit dem Leben abgeschlossen haben, auf einen Roadtrip. Die Regisseurin Pamela Tola hat gerade ihren 40. Geburtstag gefeiert. Früher habe sie gedacht, in dem Alter wäre das Leben vorbei. Das war ihr Anlass einen Film über die Ängste vor dem Älterwerden zu drehen, der jedoch immer mit einem Augenzwinkern daherkommt.

Rahmenprogramm und Vernetzung in der Festivallounge

Neben dem Filmprogramm wurde in der Festival-Lounge ein Rahmenprogramm zur Fortbildung und Vernetzung der Filmschaffenden angeboten. Neben Grünem Drehen standen Filmpitches und der  Branchentag für Female Empowerment in der Filmindustrie auf dem Programm. Herstellungsleiter Leonardo Reh hat mehrmals mit globalen Streamern zusammengearbeitet und teilte im Workshop „Howto sell movies online“ seine Erfahrungen. „Das Problem ist das folgende: Das einzige Ziel der großen Streamingdienste ist Kundenwachstum und Investoren glücklich zu machen“, resümiert Reh. „Eben nicht Content-Qualität oder Content für die bestehende Kundschaft.“ Daher reichen Serien auch häufig nicht über eine dritte Staffel hinaus, da mit ihnen kaum mehr neue Zuschauer*innen gewonnen werden können. Dennoch behielten sich die Streamer bei jeder Serie vor, auch eine zweite und dritte Staffel in Auftrag geben zu können – ob das nun aus der Geschichte heraus Sinn ergäbe oder nicht. Denn die Regeln würden noch immer stark von den Streamern diktiert. Thematische Neuausrichtungen  im Dokumentarfilm wegen neuer Erkenntnisse oder Todesfällen von Protagonist*innen werden laut Leonardo Reh als Problem der Produktionsfirmen und nicht vom Streamer gesehen – selbst bei Dokumentarfilmen. Und vertraglich können diese im Härtefall auch während schon laufender Projekte zurücktreten und die Produktionsfirmen zwingen, das gesamte Kapital zurückzuzahlen. „Es ergeben sich aber auch Vorteile“, wägt der Herstellungsleiter ab. „Der Cash-Flow zum Beispiel ist angenehmer als bei den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten, weil das Geld monatlich im Vorfeld kommt.“

Bei einem Artikel über ein Humorfilmfestival mag man es für einen Scherz halten, das ist er aber nicht: In ganz Deutschland gibt es laut Crew United nur sechs Intimacy Coordinators. Dieses Berufsfeld begleitet intime Szenen und sorgt dafür, dass Szenen rund um Berührung, Küsse und Sex für alle beteiligten Schauspieler*innen und die Regieprofessionell ablaufen. Stunt-Koordinator*innen und Choreograph*innen gibt es zu Hauf, Spezialist*innen für intime Szenen sind in Deutschland noch die absolute Seltenheit. „Bei Sex-Szenen ist es immer das gleiche: Entweder machen alle ein Riesending draus oder es wird einfach weggebügelt“, stellt die Produzentin Katharina Wagner bei einer Podiumsdiskussion lakonisch fest. Offen verhandelt wird in dieser Gesprächsrunde der noch immer tabuisierte Umgang mit Sex im Film. „Wenn man sich über eine Rolle und den Dreh freut, möchte man ja nicht anecken“, erklärt Anna Kaiser aus der Sicht einer Schauspielerin. „Und dann wird das auch noch ausgenutzt nach dem Motto, man solle sich nicht so anstellen.“  Auch die fünf Podiumsteilnehmerinnen haben Momente erlebt, bei denen von ‚anstellen‘ keine Rede sein kann. In Anwesenheit seiner Darstellerinnen etwa habe ein Theaterregisseur anzügliche Bemerkungen zu deren Brüsten gemacht, wie berichtet Catherine Lieser.  berichtet. „Wir müssen die Augen aufmachen und die Leute zum Reden kriegen“, fordert Produzentin Wagner auf. „Solche Momente dürfen nicht länger unter den Tisch gekehrt werden.“ Auch die Podiumsteilnehmerinnen haben keine Lust, immer wieder über dieselben Themen zu sprechen – aber die Branche lasse ihnen keine Wahl.

Niclas Mehne nimmt den Niedersächsischen FIlmpreis entgegen | Foto: Silas Degen

Publikumspreis für Studenten der Universität Hildesheim

Seinen Abschluss fand das 7. Filmfest Bremen bei der großen Preisverleihung am Sonntagabend, bei der insgesamt neun handgefertigte goldene Möpse vergeben wurden. Bereits im Vorfeld wurde der Finne Aki Kaurismäki für sein Lebenswerk geehrt. Ob man seine melancholisch-lustigen Filme nun liebt oder hasst, es sind laut Jury „Meilensteinen des europäischen Kinos.“ Der Publikumspreis für den besten niedersächsischen Film ging an Regisseur Niclas Mehne von der Universität Hildesheim. Nach mehreren ebenfalls komödiantisch gefärbten Kurzfilmen und einer Web-Serie ist SCHLUSSKLAPPE sein Langfilmdebüt. Darin nimmt Mehne Filmfestivals mit all ihren schrägen Vögeln und Momenten aufs Korn. Ein Spaß nicht nur für fleißige Festivalbesucher*innen. Den Preis für den besten Bremer Film sichert sich der Dokumentarfilm LEBEN OHNE ERINNERUNG, der den nach einem Autounfall von einer Amnesie betroffenen Daniel begleitet.

Bei ihrer Auswahl habe sich die Humor-Jury mehr von ihrem Bauchgefühl leiten lassen als sich an fest definierte Kriterien und Punktesysteme zu halten, gibt Stahlberg Einblicke hinter die Kulissen. Die Wahl fiel auf EAT WHEATIES! als bester Langfilm, SQUISH als bester mittellanger Film und SHE’S THE PROTAGONIST als bester Kurzfilm. Damit gehen gleich zwei der drei Hauptpreise  nach Belgien, der dritte nach Frankreich. Deutsche Produktionen sind hier nicht auf dem Treppchen gelandet. „Der deutsche Film muss sich ganz schön anstrengen, um mit internationalen Filmen mithalten zu können“, urteilt Jan Henrik Stahlberg, der mit radikalen Komödien wie MUXMÄUSCHENSTILL und SHORT CUT TO HOLLYWOOD bekannt wurde. „Ich würde dem Film eine humoristische Revolution und einen mutigeren Humor wünschen.“

Ich würde dem Film eine humoristische Revolution und einen mutigeren Humor wünschen.

Jan Henrik Stahlberg, Schauspieler und Filmemacher

Mut zu Neuem ist auch eine wichtige Komponente für die Beiträge in der ebenfalls deutschlandweit einmaligen Sektion Innovation. Mit einem Alter von nur 125 Jahren ist das Kino eine der jüngsten Kunstformen. Hier gäbe es noch viel Neues zu entdecken und auszuprobieren, regt Cornelia Holsten von der Bremischen Landesmedienanstalt an. Gewinner in dieser Kategorie wurde neben BOTTLED SONGS der Dokumentarfilm HOMESICK LUNGS über ein sterbendes Pferd mit einer Grasallergie und HAVE A NICE DOG!, der von einer Beziehung zu einem imaginären Hund inmitten eines Krieges erzählt.

Kaum waren die Bilder aus diesem Kurzfilm auf der Leinwand zu sehen, kehrte eine Anspannung zurück ins Publikum. Denn alle humorvollen Beiträge konnten nicht aus den Hinterköpfen vertreiben, dass das Weltgeschehen derzeit wenig Anlass zum Lachen gibt. Der Krieg in der Ukraine und die COVID-19-Pandemie haben auch in das Festival Einzug gehalten. Kurzfristig wurde eine eigene Sektion für ukrainische Filmwerke ins Leben gerufen und den Schlusspunkt der Preisverleihung setzte ein digital aus Kiew zugeschalteter Gitarrist und Songwriter mit einem musikalischen Gebet. Dieser Tage mehren sich die Stimmen, die den Humor hinterfragen. Ist es richtig, in Krisenzeiten laut zu lachen? „Die Frage darf nicht gestellt werden“, meint Jan Henrik Stahlberg. „Humor hat keine Grenze, Moral hat bei Humor nichts zu suchen.“ Alexandra Tacke, Senatorin für Kultur Bremen erweitert: „Diktatoren und Machtsysteme hassen nichts so sehr wie Humor. Humor ist auch eine Waffe. Die sollten wir uns nicht nehmen lassen.“

Ein langer Tag beim Filmfestival neigt sich dem Ende zu | Foto: Athena Macke

Gastbeitrag aus dem Rundbrief des Film- und Medienbüros Niedersachsen.

Silas Degen

Silas studiert Szenische Künste an der Universität Hildesheim. Seine Filme und Hörspiele sind meist Zeitreisen und erzählen von historischem Unrecht wie der Kinderverschickung der Nachkriegszeit und dem Hexenwahn. Journalistische Arbeit u.a. für das heute journal im ZDF, die kinema kommunal und die Hildesheimer Allgemeine Zeitung.

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