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Wenn der Müllgreifer zuschnappt

Große Bäume wiegen sich im leichten Wind, es ist einer der letzten warmen Nachmittage in Berlin in diesem Jahr. Auf dem Boden glitzern Kronkorken in der Sonne, hier und da leuchten Zigarettenstummel auf. Es ist still, nur Stimmengewirr und aromatisch-würzige Düfte wehen vom wöchentlichen Thai-Markt herüber. Plötzlich durchbricht ein schnappendes Geräusch die Stille: Ein Müllgreifer fasst zu – und einer der Zigarettenstummel landet in einem durchsichtigen Eimer. Steine knirschen und Blätter rascheln; Gaby sammelt im Preußenpark in Berlin-Wilmersdorf Müll. Es ist der 16. September 2023, „World Clean Up Day“, und die 68-jährige Gaby hat sich dazu entschlossen, zum ersten Mal bei einer öffentlichen Müllsammelaktion mitzumachen.

Rund 15 Teilnehmende sind gekommen und versammeln sich um den Infostand der Organisator*innen. Hier ist weniger los als an anderen Standorten, bei denen auch mal Politiker*innen vorbeischauen. Schnell wird die Ausrüstung verteilt, jede*r bekommt einen Müllgreifer, Handschuhe und einen Plastikeimer. Außerdem die Anweisung, dass niemand Spritzen oder ähnliches anfassen soll, was auf Drogenkonsum hinweist, sondern stattdessen am Infostand Bescheid geben soll. Hinter der Aktion stehen die Initiativen ALLES IM FLUSS, thinksihoch3 und Better World Cup. Letztere gehört zur Berliner Stadtreinigung, die die Ausstattung wie Handschuhe und Müllsäcke stellt.

Dann kann es losgehen: In kleinen Grüppchen oder alleine sucht sich jede*r eine Ecke im Park zum Anfangen. Gaby macht sich alleine auf und ist begeistert von dem Müllgreifer, schließlich muss sie sich nicht mal bücken, um den Müll aufzuheben. Zentimeterweise bewegt sie sich fort, hebt konzentriert einen Zigarettenstummel nach dem anderen auf. Gar nicht so einfach, so filigran ist der Müllgreifer nicht. Immer wieder muss Gaby zwei, drei Mal zugreifen, bis sie es schafft, ein Stück Müll aufzuheben. Innerhalb einer halben Stunde kommt sie nur etwa vier Meter weit. Das liegt auch an der großen Menge von Abfall, die erst dann zu Vorschein kommt, wenn Gaby unter dem Laub sucht.  „Oh nein, es hört ja überhaupt nicht mehr auf mit dem Müll. Es gibt so viele Kronkorken und Zigarettenstummel! Und diese kleinen Alu-Stückchen gehören verboten“, stellt sie fest. Überrascht ist sie aber nicht, schließlich hat sie bereits Müllsammel-Erfahrung. Sie hat immer ein paar Tüten in der Tasche, mit denen sie Abfall auf der Straße oder in Parks aufheben und später entsorgen kann. Vor allem beim Gymnasium in ihrer Nachbarschaft wird sie häufig fündig: „Da hebe ich immer besonders viele Kronkorken auf.“.

Gaby hofft, dass sie beim Müll sammeln gesehen wird: „Da wird den anderen mal bewusst gemacht, was sie so anstellen. Ich hoffe, dass es andere Leute zum Nachdenken bringt.“ Sie ist davon überzeugt, dass so kleine Aktionen wichtig sind, auch wenn es genauso politische Änderungen geben muss. Ihr eigenes Ego soll dabei nicht im Vordergrund stehen: „Mir soll’s nicht was bringen. Unsere Umwelt ist so verdreckt. Klar könnte ich sagen, dass ich das für mich mache, aber die Erde ist viel wichtiger.“

Die Rentnerin will sich bei dem Thema eigentlich nicht mehr mit anderen anlegen. Doch alles hinnehmen kann Gaby nicht. Zum Beispiel wenn SUVs in ihrer Straße in zweiter Reihe anhalten und ihre Motoren nicht abstellen. „Da bin ich zwar nicht gerade freundlich, aber Freundlichkeit bringt nichts. Das macht mich wütend.“ Auf die Konfrontation reagieren die Autofahrer*innen zwar meistens genervt, aber stellen ihren Motor schlussendlich ab. „Es kostet sehr viel Energie, wenn man zusammenrasselt und argumentiert. Es ist anstrengend.“

Gaby hat in ihrem Berufsleben im Labor gearbeitet und Fotos entwickelt. Mit schlechtem Gewissen – wo die Chemie dann hinkommen sollte, wusste sie nicht. Nur, dass es bestimmt schlecht für die Umwelt sein würde, das wusste sie. Auch deswegen begann sie, sich über Umweltthemen zu informieren, durch Zeitung oder Fernsehen, inzwischen übers Internet. Auf Plastik verzichtet sie inzwischen fast vollständig, Kleidung kauft sie schon seit über 20 Jahren nur Second-Hand. Von der Gemeinschaftsaktion im Preußenpark ist sie begeistert. Gaby ist gebürtige Berlinerin und wohnt nicht weit weg. „Wenn es das jede Woche geben würde, wäre ich dabei.“

Nach nur einer Stunde ist ihr Eimer zum ersten Mal voll. Der Müllgreifer hat ihr gute Dienste geleistet. Drogenspritzen hat Gaby heute keine gefunden.

Anna O'Connel

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