blog.jungepresse.de

Zukunftsaussichten – Nach dem olympischen Sommermärchen: Wie steht es um den deutschen Frauenbasketball?

Nachwuchsspielerin Alexandra Liestmann im Gespräch

Freitagabend nach der Schule: Während für andere der Freitagabend das Wochenende einläutet, steht für sie die letzte Trainingseinheit vor dem Spieltag an. Ein letztes Mal wird sie die einstudierten Systeme wiederholen, die letzten Details mit ihrer Trainerin besprechen, die letzten Würfe nehmen.

Denn am nächsten Tag geht es für Alexandra Liestmann, im Team nur Alex genannt, nach Berlin, Hannover, Freiburg oder auch nur in die lokale Halle, der Gameday steht an. Sie ist wie immer zwei Stunden vor Anpfiff da. Uniformiert im weißen Heimtrikot kommt sie aus der Kabine, der Sleek Zopf sitzt ebenso wie die Bandage an ihrem rechten Knie. Nach einem Jahr Pause aufgrund eines Kreuzbandrisses steht sie nun endlich wieder auf dem Spielfeld. Nach dem Warm Up dann die letzte Teambesprechung, bevor sich die Spielerinnen zum Einlaufen aufreihen. Als Alex ihren Namen durch die Lautsprecher der Halle hört, läuft sie auf das Spielfeld, wo sie und ihre Mitspielerinnen klatschend vom Publikum empfangen werden. Alex klatscht ebenfalls, für die Fans, unter denen sich Familie, Freunde und allerlei Bekannte befinden.

Die letzten fünf Minuten vergehen schnell und schon stellen sich die Teams zum Sprungball auf. Ein Pfiff, der erste Ballkontakt, das Spiel läuft.

Als Kaderspielerin für die Göttinger Medical Instinct Veilchen BG 74 aus der 1. Damenbasketballbundesliga schnürt sie jedes Wochenende ihre Sportschuhe, um auf dem Feld ihr Können zu zeigen. Sie ist mit gerade mal 18 Jahren der Neuling, der „Rookie“, im Team, denn sie spielt ihre erste Profisaison.

Um auf dem Profiniveau sicherer zu werden, spielt sie zusätzlich in der 1. Regionalliga in der zweiten Mannschaft des Vereins, um Spielpraxis zu sammeln und dort das Team anzuführen. Was der Sport für sie bedeutet, welche nervigen Klischees sich halten und was sie sich für die Zukunft des Sports wünscht, erzählt sie uns hier im Interview:

Frauenbasketball hat meiner Meinung nach noch nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient

Alex, wie fühlt sich die erste Saison im Bundesligatrikot bisher für dich an?

Es fühlt sich richtig gut an. Es macht mir einfach sehr viel Spaß, in der Bundesliga zu spielen. Ich lerne extrem viel und merke, dass ich mich auch nach meiner langen Pause immer mehr verbessere. Natürlich nimmt es viel Zeit in Anspruch, aber das nehme ich in Kauf. Auch das Team ist super.

Was sind deine Ziele für diese Saison?

Erst mal will ich mich persönlich weiter verbessern und meinen Platz im Team finden. Ich bekomme schon ein paar Minuten und denke auch, dass ich mich da ganz gut beweise. Natürlich ist das Bundesliganiveau noch neu für mich, aber ich denke, dass ich mich mit der Zeit daran gewöhne. Ich will versuchen, in der ersten Liga mitzuhalten und zu lernen, um das auch in meine zweite Mannschaft reinzutragen. Ich schreibe dieses Jahr auch Abitur, das will ich trotzdem natürlich gut meistern.

Du bist unter der Woche und am Wochenende oft körperlicher Belastung ausgesetzt. Wie gehst du damit um?

Ja, es ist viel, aber ich denke, dass es machbar ist, wenn man auch richtige Maßnahmen ergreift. Bei täglichem Training und ein bis zwei Spielen pro Wochenende, heißt das, jede Chance auf Regeneration zu nutzen und auch Physiotherapie wahrzunehmen. Natürlich kann man bei Schmerzen auch immer mit der Trainerin sprechen.

Wie ist es für dich, in zwei Teams zu spielen?

Es ist schon eine Herausforderung. Bei uns im Verein ist es üblich, in zwei Teams zu spielen, also spiele ich auch oft mit denselben Leuten. Der Switch ist natürlich trotzdem spürbar, ich trainiere mehr für die Bundesliga, bekomme aber mehr Spielzeit in der Regionalliga. Trotzdem macht es mir auch Spaß, dort zu spielen und es ist toll, als Verein Mannschaften in zwei so hohen Ligen anzubieten.

Wie vorhin schon erwähnt, steht dieses Jahr auch für dich das Abitur an. Hast du schon Pläne für die Zeit danach?

Ich will auf jeden Fall erst mal die Freiheit nach der Schule genießen, sprich ein bisschen reisen und herausfinden, wo es für mich persönlich und sportlich hingehen soll. Ich hoffe darauf, ein Team zu finden, in dem ich viel Spielzeit bekomme und mich weiter verbessern kann.

Was bedeutet dir der Sport?

Einerseits natürlich extrem viel. Fast mein ganzes Leben dreht sich um Basketball. Andererseits hab ich durch meine Verletzung, aber auch durch Corona gelernt, dass Basketball nicht alles ist und auch nicht alles sein kann. Man kann als Frau langfristig damit allein nicht wirklich sein Leben finanzieren und auch körperlich gibt es früher oder später Grenzen.

Viele Basketballerinnen zieht es ins Ausland, vor allem in die USA. Würdest du sagen, dass die Organisation des Frauenbasketballs in Deutschland ausreichend ist?

Aus Göttinger Perspektive und der des Nachwuchsprogrammes hier in Niedersachsen würde ich sagen, dass die Organisation des Frauenbasketballs ausbaufähig ist. Das liegt vor allem an fehlenden Geldern für unseren Sport. Wir sind ein kleiner Verein mit engagierten Vereinsmitgliedern und Helfern, die aber in der Regel nur ehrenamtlich arbeiten. Natürlich kann dann die Sportförderung nicht immer an erster Stelle stehen. Ich denke auch, dass das Angebot für höherklassige jugendliche Mädchen größer werden muss. Die Jungs unserer Stadt haben schon lange ein Team für die deutsche Nachwuchsbaskeballbundesliga, bei uns stand dem in den letzten Jahren die Vereinspolitik der Stadt im Weg. Es ist einfach sehr schade, wenn Vereinsprobleme über die Entwicklung von Spielerinnen gestellt werden. Was bei den Männern vereinsübergreifend funktioniert, sollte bei uns Frauen genauso funktionieren. Gerade wenn man sich die letzten Erfolge der deutschen Nationalspielerinnen bei Olympia und die der Männer anschaut, scheint es fast wie ein kleines basketallerisches Momentum zu geben. Das sollte man auf jeden Fall als Anlass sehen, um gerade den Frauenbereich stärker zu fördern.

Halten sich trotz der Erfolge Klischees über Frauenbasketball, die du hier einmal klären willst?

Leider ja, die Klassiker, dass Frauen keinen Basketball spielen können, oder schwächer sind als Männer, halten sich. Dabei beweist jede Frau, die Basketball spielt, das Gegenteil. Ein Basketballspiel der Frauen unterscheidet sich natürlich von dem der Männer durch biologische Faktoren wie die Größe. Das verändert logischerweise die Spieldynamik, bei uns gibt es so gut wie keine Dunkings. Ich denke, dass Frauenbasketball einen strukturierteren Spielfluss hat, der sehr sehenswert ist. Das zeigt sich gerade vor allem in der WNBA (Women’s National Basketball Association, die weltweit beste Liga), wo Spielerinnen wie Caitlin Clark und Angel Reese für mehr Begeisterung und Aufmerksamkeit für unseren Sport sorgen. Frauenbasketball hat meiner Meinung nach einfach noch nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient. Vielleicht liegt das auch daran, dass Basketball von Frauen so viel später erst gespielt wurde und ausgeübt werden durfte. Ich glaube, dass sich die Klischees einfach mit der Zeit legen werden, auch wenn das leider eine Sache von Jahrzehnten ist.

Wie ist denn die Basketball-Community an sich?

Ganz ehrlich, die beste Community überhaupt. In Göttingen kennen und verstehen wir Spieler*innen uns alle super. Ich habe auch so viele Freunde durch Turniere oder Lehrgänge dazugewonnen, weil alle einfach sehr cool sind. Klar, auf dem Feld mag man sich nicht, da geht’s ums Gewinnen, aber abseits des Feldes sind alle total herzlich miteinander. Ich würde auch sagen, dass die Szene sehr offen ist, gerade bi den Frauen gibt es viele aus der LGBTQ-Community. Basketball bietet einfach einen Punkt, über den man mit so vielen verschiedenen Menschen connecten kann.

Abschließend, wer war denn bisher die bekannteste Spielerin, mit der du schon auf dem Feld standest?

Ich denke, Jenny Crowder, Marie Reichert oder auch Theresa Simon. Alle haben ja in irgendeiner Form schon mal in der Nationalmannschaft gespielt.

Alex gehört zu einer Generation voller aufstrebender Basketballerinnen in Deutschland. Hunderte Spielerinnen wollen es in die Bundesligen, die Nationalmannschaften oder bis zu Olympia schaffen. Manch eine träumt auch vom Basketball in den Vereinigten Staaten.

Der Frauenbasketball in Deutschland blüht spätestens seit dem letzten Jahr richtig auf. 2023 gelang der deutschen Damenauswahl bei der EuroBasket mit Platz 6 das historisch beste Abschneiden bei einer Europameisterschaft. Ein weiterer Grund zur Freude: Durch ihre Platzierung löste sie das Olympiaticket für 2024, das erste Mal überhaupt in der Geschichte des DBB (Deutscher Basketball Bund). Sie kämpften sich in spannenden Partien gegen Belgien und Japan erfolgreich ins Viertelfinale. Dort unterlagen sie dann den USA, den späteren Olympiasiegerinnen. Allein der Weg bis ins Viertelfinale wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Prägend sind Talente wie Satou Sabally, welche sich spätestens 2020 in der WNBA als zweite von den Dallas Wings ausgewählte Spielerin international einen Namen machte. Heute gilt sie als eine der erfolgreichsten deutschen Basketballerinnen, mehrfach ausgezeichnet und mit einem der Jugend gewidmeten, selbst designten Basketballplatz in ihrer Heimatstadt Berlin. Aber auch ihre Schwester Nyara, seit 2022 ebenfalls in der WNBA, verhalf der deutschen Nationalmannschaft zu den letzten Erfolgen. Leonie Fiebich, seit 2024 in der WNBA, beeindruckte bei Olympia mit durchschnittlich 18 Punkten pro Spiel als zweitbeste Scorerin des Turniers. Fiebich und Nyara Sabally verhalfen 2024 ihrem Team, den New York Liberty, zum ersten Gewinn der WNBA-Meisterschaft.

Auch die deutschen Nationalspielerinnen im 3×3 (eine Kleinfeldvariante, bei der 3 gegen 3 statt 5 gegen 5 gespielt wird) schrieben bei Olympia Geschichte. Sonja Greinacher, Svenja Brunckhorst, Marie Reichert und Elisa Mevius gewannen völlig überraschend die Goldmedaille, und das bei erstmaliger Teilnahme

Deutschland hat in Zukunft das Potenzial, neben einer Fußball- auch zu einer Basketballnation zu werden, meint auch Alex. Das hätten nicht nur die Männer 2023 mit dem Weltmeistertitel bewiesen, sondern auch die Frauen mit ihren Erfolgen bei der EM 2023 und Olympia 2024. Sie blickt zuversichtlich auf die Zukunft des deutschen Frauenbasketballs. Das liege vor allem an den Spielerinnen selbst, die sie und viele andere inspirieren.

Trotzdem hofft sie auf mehr Unterstützung und Initiative des DBB und auch der Politik.

Ich würde mir natürlich noch mehr von allem wünschen: Noch mehr Mädchen, die beim Basketball anfangen, noch mehr Spielmöglichkeiten und Förderung für Jugendspielerinnen, noch mehr und größere Erfolge im internationalen Vergleich für Deutschland und natürlich generell mehr Aufmerksamkeit für die Spielerinnen und Vereine. Da spielt wieder das Budget eine große Rolle. Ohne Geld kann man eben auch nicht in die Zukunft investieren. Da geht noch mehr.

Foto: www.fiba.basketball/en/teams/64-germany#photos

Emilia Minou Wery

ist 19 Jahre alt und hat in ihrem Leben gefühlt mehr Zeit in Sporthallen verbracht als zu Hause. Mittlerweile steht sie an der Seitenlinie und verschriftlich ihre Begeisterung für das „Game“...

Kommentar schreiben

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.