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„Man muss dem Ensemble seinen Freiraum lassen, um sich in die Rolle einzufühlen“

Sie arbeitet als Synchronsprecherin, Schauspielerin und Regisseurin. Auf der Hörspiel-Convention „HÖRMICH“ trafen wir Kerstin Dräger zum Gespräch. In ihren frühen Jahren lieh sie Hollywood-Schauspielerin Michelle Pfeiffer ihre Stimme. Auch unter Hörspielfans ist sie bekannt, übernahm unter anderem Rollen bei „Hanni und Nanni“ und den „Drei ???“.

JPN: Wie bist du dazu gekommen, Synchronsprecherin zu werden?

Ich würde sagen, dass der Beruf mich gefunden hat. Bei einem Vorlesewettbewerb in der fünften Klasse belegte ich den ersten Platz in meiner Klasse. Der Wettbewerb wurde weiter ausgetragen auf Schulebene, den ich ebenfalls gewann. Später ging es weiter um unseren Bezirk und dann nach Berlin. Hier reichte es für keinen Preis. Aber der Rundfunksender Rias – Sitz in West-Berlin, aus dem Bezirk Schöneberg – sprach mich an, ob ich Lust hätte, Kinderfunk zu machen. Ich willigte ein und interviewte Prominente, moderierte Sendungen. Außerdem schrieben wir eigene Hörspiele und sprachen sie ein. Seitdem bin ich einfach dabei geblieben.

JPN: Von den meisten Synchronsprechen hört man, dass sie sich nicht gut daran erinnern, für welche Rollen sie schon besetzt wurden. Sind bei dir vielleicht einige hängen geblieben, an die du dich gut erinnern kannst?

Am Ende der Folge „Angriff der Computer Vieren“ hatte Justus von den „Drei ???“ eine Freundin: Lys de Kerk. doch leider gab es nach ein paar Folgen das Liebesaus zwischen dem Paar. Die Fans waren verwundert, das ein Mädchen der Jungenbande hilft, das sollte es nicht geben. Aber eben gerade, bevor wir das Interview angefangen haben, wollten einige der Fans Unterschriften von mir als Lys haben… Das war toll!

Kerstin Draeger wirkte als Sprecherin bei den „Drei ???“ mit und lieh der Rolle Lys de Kerk ihre Stimme | Foto: Athena Macke

JPN: Wie läuft das Auswahlverfahren für Synchronsprecher*innen für eine Rolle ab?

Als Regisseur erhält man eine Vorauswahl an Stimmen, die nach Meinung der Aufnahmeleitung, gut auf die Charaktere passen könnten. Die Schauspieler sind in kleinen Aufnahmen, sogenannte Sprachschnitzel zu hören. Durch unterschiedliche Oktaven der eigentlichen Stimme sind sie für mehrere Rollen gut einsetzbar. Wenn die vom Regisseur ausgewählten Stimmen auf die Rollen besetzt wurden, findet ein echtes Vorsprechen statt und kurze Zeit später fangen die Dreh- oder Sprecharbeiten an.

JPN: Gehst zu den Castings, um dich dann auf eine ganz bestimmte Rolle zu bewerben?

Aber klar! Manchmal gibt es ein paar Rollen, die möchte man gerne spielen und dann fahre ich auch zu den Castings und spreche für die Stimme vor. Es hilft, mit seiner Stimme bekannt zu sein oder den Regisseur vor Ort anzutreffen. Das bringt Vorteile und manchmal bekommt man die bessere Stimmbesetzung.

JPN: Gab es eine Hörspiel oder eine Film-Produktion, in der du dich auf eine Hauptrolle beworben hattest und die Regie dich einer anderen Rolle im Stück zugeteilt hatte?

Moment, da muss ich mal tief graben….
Ich glaube, da war etwas. Ich hatte mich mal bei dem Stück auf die Hauptrolle beworben, doch ich erhielt einen anderen Charakter: Die beste Freundin der Protagonistin. Dies war auch besser für mich, da ich zu der Zeit Mama von einem einjährigen Kind war. So hatte ich mehr Zeit für mein Kind und nicht den ganzen Trubel und Stress der Schauspielerei.

JPN: Deine Kinder hast du auch erfolgreich in die Synchronbranche gebracht und mit Wolfgang Draeger und Sascha Draeger entstammen zwei weitere bekannte Synchronsprecher deiner Familie. Der Beruf wurde dir also fast schon in die Wiege gelegt. Allerdings bist mittlerweile vom Synchronsprechen ein wenig weggerückt und schreibst selber Drehbuchtexte, die du dann auch als Regisseurin umsetzt. Kannst du mir mehr darüber erzählen?

Das kam aus der Not heraus. Ich muss meine fünf Kinder ernähren und alleine vom Synchronsprechen lässt sich das nicht handhaben. Mein Bruder arbeitet im gleichen Feld und hat in der Zeit zu viel an Arbeit gehabt. Er bot mir an, ich könne Ihm beim Schreiben helfen.
An einem Tag von den Aufnahmen war er verhindert und mein Bruder meinte „Du hast es geschrieben, dann kannst du jetzt auch die Regie machen!“. So kam das und ich bis jetzt klappt es auch sehr gut.

JPN: Das klingt ein wenig so, als ob man die Ausbildung als Regisseur*in, nicht unbedingt abschließen muss, um ein Hörspiel zu produzieren. Du bekamst also das passende Equipment und los ging es losgehen?

Mein Vater Wolfgang sagt immer: „Früher, da waren noch Theater-Regisseure am Werk. Die hatten Zeit, um sich den Film anzuschauen und die Gestik und Mimik zu studieren.“ Ein Take hat bestimmt eine halbe Stunde gedauert. Heute ist das alles auf Zeit und Geld getaktet. Man sollte sich auskennen und wissen, worauf man zu Achten hat. Man erlernt schon wichtige Dinge.

JPN: Wie ist es, mit Kindern und Laiensprecher*innen zu arbeiten? Was sind die größten Unterschiede zu Profis?

Man muss dem Ensemble ihren Freiraum lassen, um sich in die Rolle einzufühlen und Ideen einzubringen. Es soll ja Spaß machen. Ich gebe natürlich Tipps wie „Schau der Puppe mal in die Augen, die schaut viel trauriger aus als deine Stimme es rüber bringt!“ .
Wenn wir es dann geschafft haben, bedanke ich mich und zeige meine Anerkennung.

JPN: Was hast du in Zukunft an Projekten geplant?

Wir machen gerade für RTL eine Kinderserie mit Motorrädern. Am Wochenende wird eine neue Folge von „Hanni und Nanni“ produziert. Da treffen wir uns alle zusammen im Internat wieder, das wird bestimmt wieder toll. Im kommenden Monat produzieren wir einen Spielfilm mit Cowboys. Jeder Tag ist anders und das macht Spaß. Ich rate jedem, sich viele verschiedene Standbeine zu schaffen und flexibel zu bleiben.

Fotos von Athena Macke

Nele Kolf

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