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Ich glaub‘, ich krieg die Krise

Es kommt einem so vor, als wäre es gestern gewesen, dass unsere Welt noch in geregelten Bahnen lief, und gleichzeitig scheint diese Normalität unendlich weit entfernt. Seitdem das Coronavirus ausgebrochen ist, mussten wir uns vielen Veränderungen und Hindernissen stellen. Ein Blick zurück auf die vergangenen Monate aus der Sicht einer Schülerin.

Zu Beginn des Jahres taucht in China, in der Provinz Wuhan, ein neuartiger Erreger auf, welcher sich schnell verbreitet. Covid-19, das Coronavirus. Entdeckt in China, scheint es für uns in Deutschland und viele andere Menschen weit entfernt. Doch nachdem es in China zahlreiche Menschen erkranken und sterben lässt, verbreitet es sich im unvorbereiteten Südtirol Italiens rasant. Aber mehr als zahlreiche Schlagzeilen bedeutet das für uns in Deutschland zunächst nicht. Der Spuk bleibt allerdings nicht lange fern. Ende Januar kommt die Nachricht: „Erster Deutscher mit Coronavirus infiziert.“ Und dabei bleibt es nicht lange: Die Zahl der Infizierten steigt wie in vielen anderen Ländern exponentiell, bald gibt es dann auch die ersten Todesfälle in Deutschland. 

Anfang März

Die Bundesregierung handelt und zieht unter anderem Schulschließungen in Erwägung. Um den 10. März herum können meine Mitschüler*innen und ich bereits davon ausgehen, dass unser letzter Schultag vor den Osterferien schon früher als gedacht stattfinden wird. So ist es dann auch. Am Freitag, den 13. März, steht fest, dass ab Montag bis zum 20. April kein Unterricht stattfindet. Die meisten aus meiner Klasse feiern das und freuen sich auf die „fünf Wochen Osterferien“. Ich persönlich habe auch nichts gegen ein bisschen weniger Schule, aber diese „aufgezwungenen Ferien“ fühlen sich schon komisch an und lassen ein etwas mulmiges Gefühl in mir aufkommen. Denn im Endeffekt zeigt dies sehr deutlich, dass die Lage ernster wird. Wirklich Angst vor dem Virus haben meine Familie, Freund*innen und ich allerdings nicht, da uns Forschungen über die neuesten Erkenntnisse auf dem Laufenden halten. Das Virus könne normalerweise nur für Menschen ab 60 Jahren sowie vorerkrankte Risikopatienten ein tödliches Ausmaß haben und es zeige sich ansonsten meist wie eine starke Grippe mit Husten, Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, lesen und hören wir. Besonders gefährlich sei es allerdings für die Lunge, sodass sich die Krankenhäuser auf Einzelzimmer mit Beatmungsgeräten vorbereiten. Wir Schüler*innen entspannen uns also zuerst ein wenig vom sonst oft stressigen (Schul-)Alltag und genießen die frühzeitigen Ferien bei sonnigem Frühlingswetter. 

Ende März

Eine Besserung ist nicht wirklich in Sicht. Immer mehr Menschen infizieren sich mit dem Coronavirus, am 22. März sind es rund 44.000 Fälle in Deutschland, Dunkelziffer höher. Deutschland hat bisher dank seines guten Gesundheitssystems „nur“ 239 Tote zu verkraften, in anderen Ländern wie in Italien und den USA sieht es viel schlimmer aus. Allerdings verändern sich nicht nur die Zahlen, auch im Alltag macht sich die Situation deutlich bemerkbar. Immer mehr Menschen tragen beim Einkaufen Mund-Nasen-Masken und Handschuhe und versuchen, den vorgegebenen Mindestabstand von mindestens 1,5 Metern zu berücksichtigen. Viele sagen jedoch, dass dies gar nicht so einfach sei, da zu der Zeit in den Einkaufsläden immer viel los sei. Ein seit Beginn der Krise umstrittener Punkt ist der Hamsterkauf von Toilettenpapier. Auch Mehl und frische Hefe sind in den meisten Supermärkten lange Zeit ausverkauft. Heute, einige Wochen später, frage ich mich: Musste das wirklich sein? Von einem „Einkaufsverbot“ war nie die Rede und trotzdem haben so viele Menschen gehamstert. Im Nachhinein ist man wohl immer schlauer. 

Anfang April

Wir, als Familie, haben uns mittlerweile schon gut an die Situation gewöhnt und versuchen, das Beste daraus zu machen. Meine Mama geht nun weniger einkaufen und auch sonst bleiben wir einfach zu Hause. Ich selbst lese viel, war spazieren und habe Sport an der frischen Luft gemacht. Für Leseratten wie mich sind besonders Autor*innen-Livestreams auf Instagram toll, in denen man Dinge über Bücher schon frühzeitig erfahren kann. Auch meine jüngeren Geschwister wissen sich (zum Glück) die meiste Zeit zu beschäftigen. Meine Mama bekommt aus dem Bekanntenkreis zahlreiche Aufträge für selbstgenähte Mund-Nasen-Masken und hat somit auch etwas zu tun. Im Allgemeinen ist unser Familienzusammenhalt durch diese Wochen deutlich stärker geworden als es sonst im Alltag der Fall war. Wir können nun mal gemütlich zusammen essen, ohne ständig Termine berücksichtigen zu müssen, Gesellschaftsspiele spielen und abends auf dem Sofa sitzen und verfolgen, was Corona im Laufe von 24 Stunden mal wieder angerichtet hatte. Das ist für uns das weniger Schöne, denn die Fälle steigen von Tag zu Tag und es ist noch immer keine Rettung in Sicht. Das sogenannte Risikoalter wurde auf 50 Jahre heruntergesetzt und auch jüngere Menschen sind an Covid-19 gestorben. Am 21. April sind es schon 4.862 Todesfälle durch das Virus in Deutschland.

Bei Hallo Niedersachsen im NDR Fernsehen wird darüber berichtet, dass manche Virolog*innen davon ausgehen, dass sich das Virus in der Natur gebildet haben könne, um „Rache“ auszuüben. Der Regenwald, grüne Flächen, Tiere und vieles mehr müssen jeden Tag herhalten, damit wir Menschen mit Soja, Fleisch und anderen Rohstoffen versorgt werden und unseren Konsum nicht einschränken müssen. Doch was geben wir der Natur dafür? Richtig: Nicht viel! Mir waren solche Gedanken schon gekommen, als sich das Virus vor Wochen erstmals so richtig verbreitet hatte. Ich dachte mir: Vielleicht möchte die Natur ein Zeichen setzen, um uns zu sagen, dass wir etwas ändern müssen. Durch die derzeitigen Einschränkungen fahren mit Sicherheit weniger Menschen Auto und sammeln somit Pluspunkte für die Umwelt. Viele haben mehr Zeit für ihre Hobbys, wie zum Beispiel den Garten, in dem sie Pflanzen einen Platz geben und somit den Erhalt der Natur stärken. 

Die meisten Krisen haben trotz der Übermacht des Schlechten auch eine gute Seite. Ich entdecke auch einige positives Dinge:

  • Die Menschen helfen sich gegenseitig mehr: Nachbarn werden zu Ersatz-Erntehelfer*innen oder sorgen als Hobby-Näher*innen für Mund-Nasen-Masken. 
  • Die Familie hat mehr Zeit mit- und füreinander: Gemeinsames Essen, Gesellschaftsspiele oder auch Witze machen.
  • Man hat mal Zeit für Dinge, zu denen man sonst selten kommt: Ob lesen, schreiben, Musik, TV, nähen… – Fast jede*r findet irgendetwas, um sich zu beschäftigen.
  • Der Kontakt zu weiteren Familienmitgliedern wird wieder aufgenommen: Dort mal ein Foto, hier mal öfter anrufen, dafür ist jetzt Zeit! 
  • In den sozialen Medien wird die Community mehr miteinbezogen: Bei mir zum Beispiel Book-News und Livelesungen, Live-Musik oder einfach nur mal talken! 
  • Und man lernt zu schätzen, wie wichtig Freunde und Familie sind und dass das sonst so Alltägliche nicht so selbstverständlich ist, wie man vielleicht denkt.

Man lernt zu schätzen, dass das sonst so Alltägliche nicht so selbstverständlich ist, wie man denkt.

Katharina Gläser

Mitte April

„Frohe Ostern!“- dieses Jahr allerdings ein bisschen anders als sonst. „Veränderung“, „Ver-Änderung“ – „verändern“, das mussten wir uns als Gesellschaft nun schon sehr und werden es in der nahen Zukunft auch weiterhin müssen. Gerade zu Ostern ist es für viele Menschen schwierig, als es heißt: Keine fröhlichen Familienfeiern in großen Kreisen, Osteressen in Restaurants, oder Urlaub am Strand. #Stayathome heißt das Motto seit vielen Wochen. Für manche ist es nicht so schlimm, für andere dagegen sehr schwer. Ein nicht geringer Teil der Menschen ist im Homeoffice, was ungewohnt, aber vielleicht für einige auch entspannend sein konnte. In Jogginghose mit einer Tasse Kaffee vor dem PC statt Großraumbüro und schicke Business-Klamotten – hört sich doch gut an, oder? Doch was ist mit den Verkäufer*innen in den zahlreichen Supermärkten? Ärzt*innen sowie Krankenpfleger*innen in den teils überlasteten Krankenhäusern und Kliniken? Virolog*innen und Mediziner*innen? Diese haben mehr als alle Hände voll zu tun, und keine Besserung in Sicht. Und so herrscht auch in der sonst so frohen und schönen Osterzeit das Coronavirus noch mehr über als unter uns und lässt uns dies in eher eintönigen Tagesabläufen mit neuen Regeln spüren, darunter Kontaktbeschränkungen, die Treffen mit anderen Menschen nur sehr eingeschränkt möglich machen. Auch wann die Schule wieder losgeht, ist fraglich. Die Kontaktbeschränkungen werden bis Mitte Mai verlängert, allerdings dürfen einige Geschäfte nun wieder öffnen. Währenddessen sollten die Schulen bis Anfang Mai zubleiben und dann eine schrittweise Öffnung durchlaufen.

Somit heißt es für die meisten also immer noch Home-Office. Wir Schüler*innen erhalten über das Internet und diverse eingerichtete Plattformen Aufgaben, doch wie es mit Klassenarbeiten und den dadurch entstehenden Noten in Zukunft steht, ist weiterhin ungewiss. In meiner Klasse funktioniert das Prinzip des „Homeschoolings“ sehr gut, doch ich denke, da kann ich leider nicht für alle Schulen sprechen. Wie fühle ich mich zurzeit? Eine simple, aber doch auch schwere Frage. Aus dem ersten Impuls heraus sage ich „gut“, denn mir und meiner Familie geht es den Umständen entsprechend gut. Mein Vater kann weiterhin zur Arbeit und die Zeit zu Hause können wir bisher immer nutzen. Das Haus, eigene Zimmer, Garten, Sonne – was will man denn mehr? 

Doch man möchte ja fast immer irgendwie „mehr“ und mir fallen da auch einige Dinge ein. Vor allem vermisse ich meine Freunde, denn sich nur über WhatsApp zu sehen und zu hören ist komisch und es fehlt einfach etwas. Dasselbe gilt für meine Großeltern. Auch Hobbys, wie die Musikschule und das Trainingscenter hätte ich gerne wieder, obwohl die Nachmittage häufig in Verbindung mit der Schule etwas stressig sein können. Und ja, auch wenn das für viele Teenager*innen wahrscheinlich überhaupt nicht zur Debatte steht: mal wieder einen geregelten und etwas abwechslungsreicheren Vormittag in der Schule zu haben, wäre gar nicht so übel. 

Mutiert zum einzigen Leidensgenossen: Der Schreibtisch im Home-Office

Ende April

Am 20. April startet das „Homeschooling“, eine neue Erfahrung für Schüler*innen sowie für die Lehrer*innen. Für die Stabilität der Netzwerke und WLAN-Router erst recht! Für mich heißt das: Start um 8 Uhr, um 9.15 Uhr Frühstückspause und dann bis etwa 12 Uhr mit kurzen Päuschen durcharbeiten. Danach ist für den Tag dann endgültig Schluss mit Schule und ich genieße die Freizeit mit Büchern, Spaziergängen und etwas Sport. Die Aufgaben, die wir von unseren Lehrer*innen bekommen, sind zum Glück überschaubar und für mich persönlich gut zu erledigen. Teilweise bekommen wir Aufgaben aufgelistet, die wir zu einem bestimmten Termin abgeben müssen. Aber wir halten auch Videokonferenzen ab, die dann teilweise eher als mündlicher Unterricht ablaufen. Es ist für uns alle eine neue Erfahrung, die witzig und aufregend zugleich ist. Doch meiner Meinung nach ist ein nun etwas strukturierter Tagesablauf besser und gesünder. Es tut mir zumindest gut, etwas Abwechslung, vor allem für das Köpfchen, zu bekommen und außerdem entsteht dadurch wieder ein besserer Zugang zu sozialen Kontakten von Freund*innen, Mitschüler*innen, Lehrer*innen und vielen mehr. Ich schreibe und skype jetzt auch viel mehr mit meiner besten Freundin, denn endlich kann man sich mal wieder mehr erzählen, als immer nur den Tagesablauf, der aus Schlafen, Essen, Schlafen und Chillen besteht, auflisten zu können.

Einen wunderbaren Tipp für alle, die mal wieder Lust auf einen richtig schönen Mädels- oder Jungsabend haben: Über Skype und bestimmt auch über jeden anderen Videochat kann man supergut „Stadt, Land, Fluss“ oder „Black Stories“ spielen, reden, lachen, weinen oder Süßes essen – und es kommt dem realen „Nebeneinandersitzen“ schon wirklich nahe! Also, es ist Zeit für große Veränderungen; scheut also vor nichts zurück und macht das Beste daraus.

Mitte Mai

Und auch noch knapp einen Monat später denke ich so. Auch wenn die Schulen zu der Zeit erstmal nur stückchenweise wieder öffnen und man mal zwei oder drei Tage nicht von zu Hause arbeiten muss, ist es für mich persönlich immer wichtig, eine Struktur beizubehalten. Denn obwohl vieles leider noch immer nicht erlaubt ist, kam der „Alltag der neuen Normalität“ wieder ins Rollen. Für mich bedeutet das folgendes: 

  • Meine Schulklasse wurde in zwei Hälften geteilt, von denen die eine Montag, Mittwoch und Freitag, und die andere Dienstag und Donnerstag in die Schule kann.  
  • Viele Freizeitvereine dürfen ihren Betrieb wieder aufnehmen, so auch die Musikschule. Endlich mal wieder Gitarren- und Bandunterricht in real! 
  • Begleitetes Fahren ab 17? Führerschein machen ganz ohne stressigen Alltag? Ja, auch das hieß es für mich! 
  • Da der Kontakt zu einem weiteren Haushalt erlaubt ist, mal wieder auf Abstand mit einer besten Freundin spazieren gehen. 
  • Doch die tollen Meetings über Skype oder WhatsApp nicht vernachlässigen! Ein guter Tipp für alle, die gerne ein bisschen Sport mit Freunden machen wollen: Auch das geht wunderbar über Skype. Und hier spreche ich aus Erfahrung: Es macht richtig Spaß, wenn sich beispielsweise alle auf YouTube das gleiche Workout-Video einschalten und man sich zusammen vor der Laptopkamera lächerlich machen kann.

Das hört sich im Nachhinein doch trotz des schlimmen Auslösers wirklich sehr positiv an, oder? Aus einem „Alltag der vielen Veränderungen“ wurde ein „Alltag der neuen Normalität“. Denn auch wenn man so schön sagt, der Mensch sei ein Gewohnheitstier, muss man Veränderungen auch annehmen und das Beste daraus machen. Ein erster Absturz kann im nächsten Moment schon wieder ein Aufstieg sein, der die zuvor erreichte Höhe überschreitet. Der Chancen eröffnet, die sonst nie zum Vorschein gekommen wären. Der Fehler einsieht und bereut. Der Gefühle aufkommen lässt, die man nie zu haben wusste. Und der einem zeigt, wie wichtig ein starker Zusammenhalt in der Gesellschaft, ein bedachtes Einschreiten sowie ein positives Vorausschauen ist!

Fotos: Katharina Gläser

Katharina Gläser

Katharina ist 16 Jahre alt und wohnt in der Kleinstadt Einbeck in Niedersachsen. Sie geht in die elfte Klasse eines Gymnasiums und liest und schreibt sehr gerne, sodass sie sehr froh ist, seit rund 4 Monaten selbst bei der JPN mitwirken zu können.

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