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Jugendverbände im Wandel der Zeit

Jugendarbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Es wird immer schwieriger, junge Menschen an Vereine zu binden und durch die Digitalisierung werden Jugendliche immer unverbindlicher. Trotzdem ist die Jugendarbeit heute noch sehr vielfältig, auch, wenn Vereine heute ganz anders arbeiten, als noch vor einigen Jahren.

Bis zur Decke türmen sich Akten und Ordner in Ikea-Regalen, Typ „Ivar”. So heißt das Regal, das sich früher viele in ihre erste Wohnung gestellt haben. Dort fand alles Platz, was anderswo keinen mehr gefunden hat. Wir befinden uns in Hamburg, in der Wohnung von Joachim. Er zieht gerade um und trennt sich daher von seiner in Akten und Ordnern festgehaltenen Jugend. Viele Jahre hat er sich in Jugendverbänden, darunter auch der Junge Presse Niedersachsen, engagiert. Die Regale berichten in zahlreichen Protokollen und Rundbriefen, die alle noch mit Schreibmaschine geschrieben worden sind, von dieser früheren Zeit. 

Wer heute an Kommunikation in Jugendarbeit und Vereinen denkt, hat wahrscheinlich zuerst die Whatsapp-Gruppe im Kopf, in der Treffen organisiert werden oder denkt an die Instagram-Seite, auf der man sich Fotos der letzten Veranstaltungen anschauen kann. Mails gehen innerhalb von Sekunden an alle Mitglieder raus; und durch die Corona-Krise setzen viele Verbände auf Videokonferenzen und kollaboratives Arbeiten mit den unterschiedlichsten Tools. Wie unterschiedlich Vereins- sowie Vorstandsarbeit heute im Vergleich zu früher ist, fällt erst auf, wenn man einen genaueren Blick auf die vielen Regalmeter wirft, die Joachim jetzt aussortieren möchte.

Belastbare Zahlen zur generellen Mitgliederentwicklung von Jugendverbänden existieren nicht, sondern nur Daten zu den Mitgliedern einzelner Vereine. Dennoch lässt sich grob festhalten, dass zumindest in den sechziger und siebziger Jahren, nach der Jugendverbandserhebung des Deutschen Jugendinstituts, zwischen 30 und 40 Prozent aller westdeutschen Jugendlichen in Verbänden organisiert gewesen sind. Gefühlt ist vor allem in den letzten 15 Jahren ein abnehmender Trend zu spüren, der alle Arten von Verbänden und Vereinen betrifft. Nahezu alle Vereine und Organisationen klagen heute über abnehmende Mitgliederzahlen oder machen sich Gedanken, wie sie auch in Zukunft noch Jugendliche erreichen können. Ein verändertes Freizeitverhalten und die schiere Menge an Möglichkeiten, die Jugendliche heute haben, machen es den Vereinen ebenfalls nicht leichter.

Was ist heute anders als früher?

Gab es in Deutschland im Jahr 2000 gerade einmal 18 Millionen Internetnutzer*innen, sind es heute schon mehr als 62 Millionen, die regelmäßig online sind. Vor allem unter Jugendlichen dürfte der Anteil der Internetnutzer*innen inzwischen bei nahezu 100 Prozent liegen. Das Internet hat hier die Lebensrealität von jungen Menschen radikal verändert und neue Angebote und Möglichkeiten geschaffen. Wie sie ihre Freizeit gestalten, hat sich ebenfalls gewandelt, der Anteil von Schulen mit Ganztagsangeboten hat sich laut Kultusministerkonferenz seit 2003 beispielsweise mehr als verdoppelt und sorgt dafür, dass Schüler*innen ihre Nachmittage eher in der Schule als im Vereinsheim verbringen. Die Digitalisierung sowie das sich wandelnde Schulsystem stehen hier nur beispielhaft für die Veränderungen, mit denen Vereine konfrontiert werden.

Ein verändertes Freizeitverhalten und die schiere Menge an Möglichkeiten, die Jugendliche heute haben, machen es den Vereinen nicht leichter.

Florian Bastick

In klassischen Sportvereinen oder Jugendgruppen hat auch die Digitalisierung nicht viel an den Themen vor Ort geändert, auch wenn auch hier inzwischen die Konkurrenz gegenüber anderen Angeboten steigt. Anders sieht es vor allem in der politischen Jugendarbeit, sowie der Bildungsarbeit aus, hier gibt es in den letzten 20 Jahren nicht nur neue Themen und Schwerpunkte, sondern auch neue technische Möglichkeiten.

Ein Verein im Wandel der Zeit

Die Junge Presse Niedersachsen (JPN) steht hier stellvertretend für viele andere eher untypische Jugendverbände, die nicht auf große Ortsgruppen zurückgreifen können, und deren Mitglieder über ein ganzes Bundesland verteilt sind. Auf die konkrete Bildungsarbeit bezogen, ist das Konzept allerdings im Großen und Ganzen gleich geblieben. Ein Blick in alte Ordner zeigt auch, dass Themen wie Gleichberechtigung, Rassismus oder journalistisches Schreiben auch vor 30 Jahren schon präsent gewesen sind, die Jugend allerdings generell deutlich politisierter gewesen ist. Lediglich das Kriegsdienstverweigerer-Seminar wirkt heute etwas aus der Zeit gefallen.

„Wir waren früher politischer, einfach, weil die Achtziger insgesamt politischer waren. Es ging wirklich viel mehr darum, Positionen rüber zu bringen”, stellt Silke von Meding fest, die heute bei der Jungen Presse Niedersachsen als Bildungsreferentin arbeitet, jedoch in den achtziger Jahren selbst im Verein aktiv gewesen ist. Auch Schüler*innenzeitungen an sich sind ihrer Meinung nach unpolitischer geworden, ging es früher vor allem darum, seine politische Meinung und Widerstand gegen die Schulleitung zum Ausdruck zu bringen, werden Schulzeitungen heute meist als AG zum Schreiben lernen angeboten. Auch hier zeigt sich ein weiterer Trend der letzten Jahre: immer mehr Vereine kooperieren direkt mit Schulen und bieten beispielsweise AGs an, um die Jugendlichen wenigstens dort noch zu erreichen.

Neben den politischen achtziger Jahren hat sich die Vereinsarbeit allerdings noch stärker verändert. Ehrenamtliche Arbeit sei heute generell unverbindlicher geworden, erklärt Marieke Henjes-Kunst, die ebenfalls bei der Jungen Presse Niedersachsen arbeitet. Woran das liegt, könne sie  nicht genau sagen, sie vermutet allerdings, dass unser Alltag heute generell unverbindlicher als früher organisiert ist. Online lassen sich heute viel kurzfristiger Absprachen treffen und wer nicht persönlich erscheinen oder anrufen muss, dem fällt es wesentlich leichter, sich wieder abzumelden – sofern dies überhaupt gemacht wird. Dieser Trend ist nicht nur in der Vereinsarbeit, sondern auch im Privaten zu beobachten. 

Was wird aus der Jugendarbeit?

Wie kann Jugendarbeit in einem solchen flexiblen und unverbindlichen Rahmen überhaupt noch gelingen? Diese Frage stellen sich viele Verbände seit Jahren und eine Musterlösung hat noch niemand gefunden. Während die einen sich weg vom klassischen Verein bewegen und sich eher als lose Community mit Ortsgruppen verstehen, halten andere Verbände an etablierten Strukturen fest und möchten diese eher durch eine weitere Professionalisierung stärken, um mit kommerziellen Freizeitangeboten mithalten zu können.

Auch bei der JPN wird sich in den nächsten Jahren weiterhin viel verändern. Protokolle und Einladungen werden hier schon lange nicht mehr mit der Schreibmaschine getippt, doch bei all den Veränderungen blickt Silke von Meding auch positiv in die Zukunft und erklärt: “Ja klar, es hat sich total viel geändert. Vor allem als dann der Computer mit Mails etc. kam – das hat viel geändert. Aber die Sache, für die man das alles macht, die ist ja geblieben und die Menschen sind auch im Grunde die gleichen.”

Foto: Florian Bastick

Florian Bastick

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