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Kinosaal mit roten Sitzen

Der Club der toten Lichtspielhäuser

Schon 1970 während des aufkommenden Fernsehens schreibt Filmemacher Edgar Reitz in seinen Tagebüchern vom Sterben des Kinos. Im Zuge der Corona-Pandemie ist das Thema des 16. Bundeskongresses Kommunaler Kinos aktueller als je zuvor. Ist es nun Zeit für einen Abschied? Ein Kommentar von Nachwuchsfilmemacher Silas Degen.

Im Glitzern der Augen von Hugo Cabret spiegelt sich das Licht der Leinwand, wenn der Waisen-junge gebannt den an der Wolkenkratzeruhr hängenden Mann auf der Leinwand beobachtet. Über allem ruht das ruhige Summen des Filmprojektors. Wer von Martin Scorseses Liebeserklärung an das Kino verzaubert wird, brächte es wohl nie übers Herz, den Wert der Lichtspielhäuser in Frage zu stellen. Und auch beim Bundeskongress Kommunaler Kinos finden sich 2020 wieder zahlreiche Menschen aus allen Landesteilen ein, die gemeinsam für den Erhalt der Kinolandschaft kämpfen wollen. Aber ist das Kino wirklich unabdingbar?

Unbehagen schießt mir in den Kopf, als ich mir diese Frage zum ersten Mal stelle, als ob es sich um einen verbotenen Gedanken handeln würde. Darf ich als Filmemacher überhaupt den Ort meiner eigenen Kunst infragestellen, den Generationen von Filmliebhaber*innen zum Garten Eden erklärten? Oder werde ich jetzt auf einem Scheiterhaufen aus Filmrollen verbrannt mitsamt meiner ketzerischen Gedanken? Bislang hielt ich es lieber geheim, dass ich Filme am liebsten zu Hause auf dem eigenen Sofa schaue. Gemütlicher als jeder Kinosessel, das Angebot reicht über Popcorn und Softdrinks hinaus ins Unendliche und ich bin nicht von tuschelnden oder gar gackernden Menschen umgeben, die mich aus dem Fluss des Filmes reißen. In meinen vertrauten vier Wänden kann ich mich ganz dem Film hingeben, wohin er mich auch trägt. Je länger mich der Zweifel verfolgt und mit je mehr Menschen ich ihn teile, desto klarer wird mir: So gern ich es täte – ich liebe das Kino nicht.

So begebe ich mich auf die Suche nach Zahlen und werde in meinen kühnsten Erwartungen untertroffen: Die*der durchschnittliche Deutsche geht 1,27 Mal pro Jahr ins Kino, wie die Statistik der VuMA von 2018 offenbart. Böse gesagt sind Kinogänge in unserem Leben also fast so selten geworden wie Totensonntage, Steuererklärungen oder die Rückkehr der Sonne an den Tierkreisort der Geburt. Und die Zahlen sind im letzten Jahrzehnt konstant, das Kinosterben im Corona-Jahr 2020 scheint also nicht ausschließlich der Pandemie geschuldet sondern wesentlich ältere Problematiken zu Tage zu fördern. Und so gleicht auch das Diskussionspanel des Bundeskongresses stellenweise einem Hilferuf an die Politik, drohen doch gerade die Kommunalen Kinos in den Folgemonaten weiter eliminiert zu werden. Als ein Hoffnungsträger der Bundeskongress-Teilnehmer*innen ist Bundestags-Politiker Helge Lindh geladen, der die Einzigartigkeit der Kinos in Worte zu kleiden versucht: „Man kann nicht nur den Film sehen, sondern auch die anderen Zuschauer… riechen!“ Ein Schuss in den Ofen. Soll das der Zauber sein, von dem Filmmacher*innen so schwärmen, wenn sie einen „magischen Raum“ für Filme fordern?

Natürlich muss darauf hingewiesen werden, dass andere Kulturstätten wie Theater und Opern mit ähnlich einbrechenden Besucher*innenzahlen zu kämpfen haben. Doch während das städtische Theater mit Erweiterungen wie Programmeinführungen, Publikumsgesprächen oder Podiumsdiskussionen der Bühne längst eine neue Aufwertung gegeben hat, ist es um das Kino in meiner Heimatstadt Hildesheim eher düster bestellt: Bis auf den Vorhang erinnert im kommerziel-en Kinoriesen nichts mehr an die Eleganz des Theaters. Hier spürt man schon die tötenden Blicke des wartenden Personals im Rücken, wenn man den Abspann eines Filmes zu Ende schauen möchte. Neben dem Filmpalast kann kaum ein kommunales Kino mit Filmen fernab des Mainstreams existieren. Zwei Jahre lang bereicherte das Bundes.Festival. Film für einige Tage die regionale Kinoszene, das mittlerweile allerdings nach Wuppertal umgesiedelt ist. So sehr Kinos in anderen Städten blühen mögen, so wenig konnten sie in Hildesheim mein Herz erobern. Obwohl doch gerade Festivals mit ihrer Nähe zwischen Filmemacher*innen und ihrem Publikum dem Film eine neue Attraktivität verschaffen können. „Es wird sich auf Dauer wahrscheinlich nicht vermeiden lassen, Kinos zurück-zubauen“, sagt Lars Henrik Gass, der die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen leitet und Pläne eines ambulanten Wanderkinos entwirft. „Ich will nicht alte Kinotraditionen unbedingt halten, wenn sich das Rad der Gesellschaft weitergedreht hat.“

Während ich noch fürchte, auf meinem Weg in den Unglauben von einem Blitz des wütenden Filmgottes erschlagen zu werden, finde ich meine Erleuchtung in einem Zitat von Edgar Reitz. „Film spielt sich nicht auf der Leinwand, sondern in der Vorstellungswelt und Fantasie der Menschen ab“, erklärt der Filmregisseur bei einem Interview im Rahmen des Bundeskongresses. Und bei diesem Satz öffnen sich mir die Augen: Die Magie des Filmes erlebe ich wie alle anderen auch, doch liegt sie für mich im Film selbst und nicht in seinem Ambiente begründet. Um mich in seinen Bann zu ziehen, braucht der Film für mich keinen stockdunklen Kinosaal, kein Popcorn in den Stuhlritzen und keine Leinwand von einer Dimension, dass ich damit das Empire State Building tapezi-ren könnte. Reitz zählt mit seinen 88 Jahren zu den einflussreichsten Dinosauriern der deutschen Filmszene und dürfte von Filmen in einer Zeit verzaubert worden sein, als Kinos noch der unangefochten einzige Ort waren, wo Filme gespielt wurden. Dieser Raum ist also aufgeladen mit Erinnerungen an schöne und traurige Filmmomente, an geteilte Freude und Leid mit den Figuren. Das Kino ist nicht zu unterschätzen als ein Träger und Hüter alter Filmerlebnisse und mit Erinnerungen aufgeladen, die wir Menschen der jüngeren Generation genauso mit dem eigenen Fernseher, Streaming-Plattformen oder im Extremfall sogar mit einem Handybildschirm verbinden können. Meine Lieblingsfilme wie Harold & Maude oder Der Pate habe ich fast ausschließlich am Fernseher gesehen und das Knistern einer DVD-Verpackung ist für mich magischer als jeder Kinovorhang. Es ist also nicht die fehlende Faszination für Film oder gar Faulheit unserer jungen Generation, wie gerne von alten Filmhasen in einem Anflug von Melancholie behauptet wird. Der Lebensraum der Filme hat sich gewandelt und auch an Bildschirmen zu Hause kann ein Funke entspringen.

Beitragsbild: Jonathan Moerman/ Unsplash

Silas Degen

Silas studiert Szenische Künste an der Universität Hildesheim. Seine Filme und Hörspiele sind meist Zeitreisen und erzählen von historischem Unrecht wie der Kinderverschickung der Nachkriegszeit und dem Hexenwahn. Journalistische Arbeit u.a. für das heute journal im ZDF, die kinema kommunal und die Hildesheimer Allgemeine Zeitung.

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