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Noreen Thiel, kann man zu jung sein, um gute Ideen zu haben?

Noreen Thiel ist achtzehn Jahre alt, Studentin und Direktkandidatin der FDP im Wahlkreis Berlin-Lichtenberg. Damit ist sie eine der jüngsten Personen, die für eine der größeren Parteien zur Wahl antritt. Lisa Grefer erklärt sie, wie es durch eine Reihe Zufälle zu diesem Schritt kam, warum sich die Politik ein Beispiel an Billie Eilish nehmen sollte und wie man Politik für junge Menschen interessanter machen kann.

Wann hast du angefangen, dich für Politik zu interessieren? Gab es irgendeinen konkreten Aufreger, der für dich den Startpunkt ausgemacht hat?

Ich denke, dass es nie das eine Aufreger-Thema gab. Bei mir fing es in den Sommerferien von der neunten auf die zehnte Klasse an. Ich war vierzehn Jahre alt, die Bundestagswahl stand an und ich hab mich in dem Sommer super viel über das Bildungssystem aufgeregt. Weil sowieso überall Wahlplakate hingen, hab ich angefangen, mich mehr mit Politik und den Parteien zu beschäftigen. Ich bin anschließend daran hängengeblieben und hab beschlossen, mich politisch zu engagieren. 

Wann bist du zu den Liberalen gekommen und warum hast du dich gerade für die FDP entschieden?

Also grundsätzlich habe ich mich damals erst einmal mit den Bildungskonzepten auseinandergesetzt und da hat mich das von der FDP am meisten überzeugt. Ich habe mir auch die Programme im Weiteren noch durchgelesen und habe meine persönlichen Einstellungen letztendlich am ehesten bei der FDP wiedergefunden. Also ich war immer jemand, der von klein auf sehr selbstbestimmt leben wollte und sehr freiheitlich ist und keine Lust darauf hat, dass einem das Leben vorgeschrieben wird. Genau das hat mich schließlich zur FDP geführt.

Ich war immer jemand, der von klein auf sehr selbstbestimmt leben wollte und keine Lust darauf hat, dass einem das Leben vorgeschrieben wird.

Noreen Thiel

Wie waren deine Anfänge in der Partei? Wie sah dein anfängliches Engagement aus? 

Ich wurde da mehr „rein geschubst“, würde ich behaupten. Ich war ganz frisch dabei und man hat bei uns im Kreisverband für den Vorstand noch einen Beisitzer gesucht. Ich wurde kurzerhand für das Amt vorgeschlagen, später auch gewählt und mache seitdem immer und überall Social Media-Arbeit. 

Du kandidierst in diesem Jahr für den Bundestag. Wie kam es dazu, dass du dich mit damals noch siebzehn Jahren für diesen großen Schritt entschieden hast?

Ich habe nie da gesessen und gedacht „Mit siebzehn möchte ich gerne für den Bundestag kandidieren“. Es war tatsächlich mehr eine Zufallssache. Ich wusste, dass in dem Wahlkreis, in dem ich jetzt aufgestellt bin – in Lichtenberg – noch ein*e Kandidat*in gesucht wurde und habe da mehr scherzhaft drüber nachgedacht. Aber ich wurde dann tatsächlich plötzlich vom Kreisvorsitzenden angerufen und gefragt, ob ich die Kandidatur antreten möchte. Nach diesem Gespräch habe ich etwas Bedenkzeit bekommen. Die hab ich genutzt, um mit Menschen, die mir nahe stehen, über das Thema zu sprechen und so habe ich mich dann im Endeffekt dazu entschieden, die Kandidatur anzutreten.

Wie sah dein Gedankenprozess aus? Hattest du vorher auch Zweifel an der Entscheidung?

Irgendwie war es eine leichte Entscheidung, weil für mich klar war, dass ich das eigentlich gerne machen würde. Zumindest habe ich mir gedacht, dass es nicht schaden kann. Im Gegenteil: eigentlich kann die Kandidatur mich nur weiterbringen. Und ich weiß auch, wie meine Chancen stehen. Deswegen gehe ich nicht mit der Erwartungshaltung daran, den Wahlkreis zu gewinnen. Ich hoffe nur, Leute davon überzeugen zu können, sich politisch zu engagieren und möchte auf meine Themen aufmerksam machen.

Eigentlich kann die Kandidatur mich nur weiterbringen.

Noreen Thiel

Wie waren die Reaktionen auf deine Kandidatur? 

Im persönlichen Umfeld war die Resonanz sehr positiv. Ich habe niemanden erlebt, der sich sehr kritisch geäußert hat. Online war das etwas ganz Anderes. Der Gegenwind, der damals auf mich zu kam und bis heute kommt, war heftig. Aber ich würde auch behaupten wollen, dass das bis zu einem gewissen Grad dazu gehört.

Also die Standardsätze, die man sich anhören darf, sind: „Geh erst einmal arbeiten!“, „Du hast keine Lebenserfahrung“ und „Studier´ erst einmal zu Ende“. Aber das sind Menschen, die sich nie ausreichend mit mir auseinandergesetzt haben. Ich finde die Aussagen immer sehr pauschalisierend und diskriminierend, weil Menschen nur auf das Alter schauen und nicht hinterfragen, was für eine Person dahintersteht. 

Manchmal gehe ich drauf ein. Manchmal aber auch nicht. Im Wesentlichen schenke ich dem zumindest online keine wirkliche Beachtung. Die Äußerungen kommen von Leuten, die mich sowieso nicht wählen würden und auch nicht das Interesse daran haben.

Noreen Thiel hat als 18-Jährige für den Bundestag kandidiert. Foto: Johannes James Zabel

Hast du ein politisches Vorbild?

Ich hatte nie direkt ein politisches Vorbild oder eine Person, deren politischen Stil ich gerne nachahmen würde. Ich habe immer probiert, mein eigenes Ding zu machen. Wenn man das Politische rausnimmt, würde ich aber sagen, dass Billie Eilish ein Vorbild für mich ist. Ich finde gut, dass sie ganz offen über psychische Probleme spricht und, dass die Art und Weise, wie sie das macht, sehr authentisch ist. Vielleicht ist es auch ein wenig ihr Kleidungsstil, den sie sehr für sich entscheidet und völlig unabhängig von Kritiker*innen macht. Das wäre auch für die Politik ganz praktisch, weil ich für mich den Eindruck habe, dass Politik sich verkleidet – sowohl sprachlich als auch modisch. 

Was bringst du als junge Person mit an den Tisch, was ältere Kandidat*innen/Politiker*innen nicht leisten können?

Ich lebe im 21. Jahrhundert. Es gibt Dinge, die ältere Kolleg*innen erst kennenlernen und erlernen müssen – Smartphone, Digitalisierung, Internet, Social Media. Ich muss den Umgang damit nicht erlernen, weil ich ganz selbstverständlich damit aufgewachsen bin. Ich muss mir das nicht künstlich erarbeiten, sondern es ist immer Teil meines Alltags gewesen. Außerdem bin ich näher an der Lebensrealität junger Menschen. Ich habe Bildung und psychische Gesundheit zu meinen Themen gemacht und kann das meiner Einschätzung nach authentischer vertreten als so manche*r ältere*r Kolleg*in. 

„Man ist nie zu jung, um die besten Ideen zu haben“ – sagst du. Welche Idee würdest du als Politikerin gerne als erstes umsetzen?

Da gibt es ehrlich gesagt gleich zwei Themen. Zum einen geht es um mehr  Bildung auf Bundesebene. In meinen Augen ist der Föderalismus in der Bildung ziemlich gescheitert und es ist an der Zeit, gleiche Standards zu setzen, beispielsweise bei Abschlüssen. Zum anderen möchte ich mehr auf das Thema psychische Gesundheit aufmerksam machen. Da geht es zum Beispiel um eine große bundesweit angelegte Kampagne, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und Menschen dadurch zu helfen offener mit dem Thema umzugehen oder sich Hilfe zu holen oder darum die Ausbildung von Psychotherapeut*innen zu reformieren. Es muss sich auf jeden Fall etwas ändern. Also Bildung auf Bundesebene entscheiden und psychische Gesundheit – das sind die Themen, die mir sehr wichtig sind.

Bildung auf Bundesebene und psychische Gesundheit – das sind die Themen, die mir wichtig sind.

Noreen Thiel

Ich nehme uns selbst als eine sehr politische Generation war. Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umsehe, sind die meisten super interessiert und diskutieren gerne über politische Themen. Trotzdem sind die allerwenigsten Mitglieder in einer Partei und engagieren sich. Hast du Vermutungen, woran das liegen kann? Warum ist der Schritt, tatsächlich einer Partei beizutreten, zumindest gefühlt sehr groß?

Ich glaube, viele gehen diesen Schritt nicht, weil Politik kommunikativ ein Reinfall ist. Politik verkauft sich als altbacken und sehr in seinen Strukturen vertieft. Ich kann verstehen, wenn man als junger Mensch sagt, dass man darauf keine Lust hat. Politik ist eben nicht der neuste TikTok-Trend oder ein gehyptes Starbucks-Getränk. Politik klingt mehr wie eine sehr langweilige BWL- oder Politikwissenschaftsvorlesung mit unglaublichen langen Nebensatzkonstruktionen. Sie kleidet sich zudem zum Teil sehr elitär und das ist für junge Menschen nicht sonderlich zugänglich.

„Daran muss Politik aus meiner Sicht arbeiten, sprachlich und modisch lockerer und authentischer werden“: Die Bundestagskandidatin Noreen Thiel. Foto: Johannes James Zabel

Daran muss Politik aus meiner Sicht arbeiten, sprachlich und modisch lockerer und authentischer werden. Anzüge in den Schrank, Hoodie raus oder worin man sich auch immer wohl fühlt. Und weg mit irren Nebensatzkonstruktionen, die niemand versteht. Und auch auf Social Media muss man weg von streng seriös hin zu lockerer und nahbar. Das machen ja Persönlichkeiten aus anderen Branchen schon sehr erfolgreich und sind dabei auch immer in aktiver Kommunikation mit den Menschen, die ihnen folgen. Dahin muss Politik aus meiner Sicht auch.

Zum Abschluss: Was würdest du anderen jungen Menschen, die Lust haben, sich politisch zu engagieren, mit auf den Weg geben? 

Dran bleiben! Parteiengagement ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Ich habe das früh gelernt, als ich eingetreten bin. Ich dachte ich könnte von heute auf morgen das Bildungssystem verändern. Aber das geht natürlich nicht. Ich glaube Politik hat viele Einstiegshürden. Die Strukturen in den Parteien sind ziemlich schwierig und die muss man erst einmal kennenlernen und verstehen. Das kennt man auch von anderen Hobbys. Niemand kommt neu dazu und kann und weiß auf Anhieb alles. Ich finde es lohnt sich sehr, sich mit anderen jungen Menschen austauschen zu können und das schafft zunächst eine unglaublich gute Basis. Noch zu mir persönlich: Ich finde, dass ich eine sehr deutliche positive Persönlichkeitsentwicklung durchlebt habe, seit ich mich politisch engagiere. Deswegen kann ich den Weg nur allen jungen Menschen empfehlen. Du kannst langfristig unglaublich viel mitgestalten und verändern.

Das Gespräch haben wir vor der Bundestagswahl geführt. Mit gut sechs Prozent der Erststimmen hat es für Noreen Thiel nicht für einen Einzug in den Bundestag gereicht.

Lisa Grefer

Lisa Grefer ist 20 Jahre alt und studiert Rechtswissenschaften an der Universität in Göttingen. Wenn sie nicht gerade in der Bibliothek lernt, ist sie entweder im Stadtradio oder in einem guten Café zu finden.

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