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Hashtag-Aktivismus: Gemeinsam reichweitenstark

Mit dem Hashtag für die gute Sache – geht das?

Es lag etwas in der Luft, in dieser Nacht im Januar 2013. Das erzählt Jasna Strick, wenn sie sich zurückerinnert. Sie las damals Tweets von Nicole von Horst, über deren sexistische Erfahrungen. Da ist die Rede von einem Mitschüler, der die Schneiderin im Haus überzeugen wollte, ihn in ihre Wohnung zu lassen, weil von Horst ihm nicht öffnete. Oder von einem Arzt, der ihren Po tätschelte, nachdem sie wegen eines Suizidversuchs im Krankenhaus lag. Strick berührte das. Also twitterte auch sie, was ihr widerfahren war. Mit ihr kamen immer mehr Frauen. Eine von ihnen war Anne Wizorek. Sie schrieb: „Wir sollten diese Erfahrungen unter einem Hashtag sammeln.“ #aufschrei war geboren.

Markus Beckedahl, Chefredakteur von netzpolitik.org, kann sich nicht mehr so genau an die Geburtsstunde von #landesverrat erinnern. Er ist sich nicht mal sicher, ob er oder jemand anderes es zuerst verwendet hat. Aber er sagt, dass er eine Menge Glück hatte – auch wegen des Hashtags. 2015 wurde gegen ihn und seinen Kollegen Andre Meister ermittelt. Der Vorwurf: Landesverrat. Der Grund: Zwei Artikel, in denen sie aufdeckten, dass der Verfassungsschutz im Geheimen eine Menge Geld für Massenüberwachungssysteme ausgeben wollte. Beckedahl und Meister wollten ihre Recherche stützen; sie veröffentlichten demnach auch Originale eines Haushalts- und eines Personalplan des Verfassungsschutzes, die ihnen eine unbekannte Quelle zugespielt hatte.

Was Beckedahl für die „Bürokratie eines Überwachungsstaates” und höchstens eine Urheberrechtsabmahnung wert hielt, waren für Ex-Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen vertrauliche Dokumente. Genug, um „Unbekannt” anzuzeigen und somit den Anstoß für Ermittlungen gegen die beiden Journalisten zu geben. Womit er vermutlich nicht gerechnet hat: Über #landesverrat solidarisierten sich Tausende mit netzpolitik.org und verurteilten die Ermittlungen als Angriff gegen die Pressefreiheit. 

Hashtags bündeln. Sie wollen gehört werden. Manchmal klappt das. Ob das gut ist, liegt im Auge der Betrachter*innen. 

Ein #aufschrei verschaffte sich Gehör

#aufschrei war laut genug, um gehört zu werden – laut Jasna Strick sogar mit Nachklang: „Seitdem kann ich über Hashtag-Aktivismus reden, ohne erstmal erklären zu müssen, was ein Hashtag ist.” Es sei das erste deutsche Hashtag gewesen, dass eine Debatte außerhalb von Twitter ausgelöst hat. Eine öffentliche Diskussion über Sexismus habe sie sich vorher kaum vorstellen können. Den Erfolg eines Hashtags könne man daran aber nicht festmachen: Auf dem Weg in die traditionellen Medien sei auch etwas verloren gegangen: Auf Twitter wurde unter #aufschrei über Intersektionalität gesprochen, Jauch hingegen fragte, ob es hierzulande überhaupt ein Sexismus-Problem gebe. 

„Es ging darum, Sachen in Worte zu fassen, über die man vorher noch nie gesprochen hat.“: Jasna Strick, Mitinitiatorin von #aufschrei. Foto: privat

Es sei gar nicht das Ziel eines jeden Hashtags, Social Media zu verlassen, meint Strick. Auch bei #aufschrei war das nie geplant. „Es ging darum, Sachen in Worte zu fassen, über die man vorher noch nie gesprochen hat.” Sie sei damals die halbe Nacht lang wach geblieben, habe bis 4 Uhr morgens gelesen, getweetet und geweint, eine unglaubliche Verbundenheit zu allen Leuten verspürt, die ihre Erfahrungen teilen. „Das war total emotional.” 

Dass #aufschrei länger als eine Nacht zu hören sein würde, hätte sie nicht erwartet. Geplante Kampagnen starten nicht mitten in der Nacht. Rückblickend sagt sie, dass das Hashtag einfach den richtigen Nerv getroffen hat und deshalb so bekannt werden konnte. Anfang 2013 wurde mehrfach über Sexismus berichtet; der Kommentar des damaligen FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle, die Journalistin Laura Himmelreich könne ein Dirndl gut ausfüllen, ist nur ein Beispiel. Strick beschreibt, die richtigen Menschen seien offen für das Thema gewesen.

Mit #landesverrat gegen Landesverrat-Vorwürfe

Auch Markus Beckedahl sagt, es habe mit Glück zu tun, ob ein Hashtag gehört wird oder in der Masse untergeht. Man müsse ein gutes Schlagwort finden, eines mit Symbolwirkung, und es zum richtigen Zeitpunkt einsetzen. Mit #§94StGB wäre netzpolitik.org nicht so weit gekommen wie mit #landesverrat. Garantie auf Erfolg gebe es trotzdem nicht: „Von einer Menge Hashtags hört man nie wieder etwas, obwohl sie gezielt dafür eingesetzt wurden, eine Debatte auszulösen.” Für richtigen gesellschaftlichen Wandel müsse ein Hashtag nicht nur groß werden, sondern es auch über einen längeren Zeitraum bleiben. 

Markus Beckedahl, Initiator von #landesverrat und Chefredakteur von netzpolitik.org: „Von einer Menge Hashtags hört man nie wieder etwas, obwohl sie gezielt dafür eingesetzt wurden, eine Debatte auszulösen.“ Foto: privat

Bei #landesverrat ging das anders: Gerade mal zehn Tage nachdem die Journalisten die Ermittlungen gegen sich öffentlich gemacht hatte, entließ der damalige Justizminister Heiko Maas den ermittelnden Generalbundesanwalt Harald Range. Die Ermittlungen wurden fallen gelassen. Laut Beckedahl habe #landesverrat maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen, netzpolitik.org hätte aber auch ohne das Hashtag genug Aufmerksamkeit bekommen.

„Wir sind ein reichweitenstarkes Blog und gut mit anderen Journalisten vernetzt.”

Markus Beckedahl

Ein ambivalentes Zeichen

So gut vernetzt sind aber nicht alle. Wer in der Berichterstattung traditioneller Medien übergangen wird, braucht Hashtags, um sich Gehör zu verschaffen. Das erklärt Andreas Bernard, der Autor von „Das Diktat des Hashtags.” Hashtag-Aktivismus sei demokratiefördernd und zudem leichter, schneller und mächtiger in der Anwendung. Das sei die eine Seite. Auf der anderen Seite sei Hashtag-Aktivismus anfälliger für oberflächliche Beteiligung, sogenannten Slacktivismus. Ein Beitrag ist schnell mit einem Hashtag versehen, der geringe Aufwand sei nicht vergleichbar mit anderen Arten von Aktivismus. 

Wer in den traditionellen Medien übergangen werde, brauche Hashtags, um sich Gehör zu verschaffen, meint Andreas Bernard, der Autor des Buchs „Das Diktat des Hashtags“. Foto: privat

Außerdem falle es schwerer, verschiedene Stimmen zu differenzieren, wenn sie sich unter demselben Schlagwort vereinen. Bernard finde es problematisch, wenn die Erfahrung eines schlechten Flirts und einer Vergewaltigung unter einem Hashtag stehen, sehe aber auch, dass beide ein gemeinsames Hashtag brauchen, um überhaupt gehört zu werden. Hashtag-Aktivismus sei demnach von Ambivalenz geprägt – weder Fortschritts- noch Verfallsgeschichte. 

Jasna Strick sieht das anders: Hashtags seien ein niedrigschwelliger Einstieg in die Welt des Aktivismus, bei der man sich trotzdem „ein Stück weit nackig” machen und etwas von sich teilen könne. Für sie ist Hashtag-Aktivismus gut, sobald er einem einzigen Menschen geholfen hat. Die Hürde für Erfolg sei demnach nicht allzu hoch. Wenn man heutzutage gesellschaftlichen Wandel erreichen will, müsse man das sowieso in allen Lebensbereichen: in der Familie, am Arbeitsplatz, an der Wahlurne, auf der Straße – und eben auch im Internet.

Lima Fritsche

Lima Fritsche ist 18 Jahre alt. Nach ihrem FSJ Politik bei der Jungen Presse Niedersachsen hat sie im Herbst ein Studium an der Kölner Journalistenschule begonnen.

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