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Möge die Macht der Sprache mit euch sein!

Die Sprache ist auf den ersten Blick etwas Alltägliches, das wir alle selten hinterfragen. Doch wie so vieles hat auch die Sprache versteckte Superkräfte. Journal-Autorin Katharina Gläser hat die Sprachwissenschaftlerin Dr. Clara Herdeanu gefragt, was Sprache eigentlich ist – und welche „mächtigen“ Effekte sie verbirgt.

Da wir uns in diesem Interview für die Journalausgabe zum Thema „Machtwort“ mit der Sprache beschäftigen: Was ist eigentlich Sprache?

Sprache ist die Fähigkeit, dass wir orts- und zeitunabhängig Informationen von einem Gehirn in ein anderes Gehirn transportieren. Dabei können wir sowohl über konkrete Ereignisse, Personen und Objekte als auch über abstrakte Konzepte sprechen. Beispiele dafür sind Wörter wie „Freiheit“ oder „Demokratie“ – Dinge, die wir nicht anfassen können.

Sprache begegnet uns ganz selbstverständlich im Alltag und die meisten Menschen denken wahrscheinlich nur selten über die Auswirkungen ihrer Sprache und vor allem ihrer Wortwahl nach. Auf welche Art und Weise kann denn etwas ganz Alltägliches wie Sprache „mächtig“ sein?

Wir begreifen unsere Welt buchstäblich durch Sprache. Die Sprache und unser Denken sind sehr eng miteinander verbunden: Wir denken in und mit Sprache und drücken unsere Gedanken wiederum auch in Sprache aus, um sie unseren Mitmenschen mitzuteilen. Dadurch, dass Sprache etwas so Alltägliches ist und wir sie jeden Tag verwenden, denken wir in den seltensten Fällen darüber nach, was Sprache eigentlich ausmacht, was für einen Einfluss Sprache auf unser Denken hat. Auch wenn viele Menschen denken, sie wüssten, wie sie denken, ist das nicht so.

Das unbewusste Denken hat einen wahnsinnig großen Einfluss darauf, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und was für Entscheidungen wir treffen.„, betont Dr. Clara Herdeanu als promovierte Linguistin und PR-Expertin. Foto: privat

„Framing“ – Konzept

Zusätzlich zu diesen genannten Aspekten hat die Sprache noch andere Effekte, die das Verständnis und die folgenden Handlungen beeinflussen. So zum Beispiel das „Framing“. Was versteht man in der Linguistik (Sprachwissenschaft) darunter?

Das „Framing“- Konzept ist in den 70er Jahren von einem amerikanischen Sprachwissenschaftler namens Charles Fillmore geprägt worden. Dieser stellte sich die Frage: „What do I need to know in order to use this form appropriately and to understand other people when they use it?” Damit hat er ganz bewusst die Wissensbedingungen in den Mittelpunkt gestellt: „Welches Weltwissen, welches Sprachwissen muss ich haben, um etwas zu verstehen?“

Immer wenn wir etwas sagen, immer wenn wir Wörter verwenden, wird ein bestimmter Wissensrahmen (Frame) aktiviert. Sie stehen miteinander in Beziehung und sind verknüpft, sodass sich sogenannte „Frame-Netzwerke“ bilden. Dieser Effekt wird von uns Menschen auch verwendet, um mit Sprache Macht auszuüben. Dabei kommt ein weiteres linguistisches Konzept ins Spiel, die sogenannten „semantischen Kämpfe“ – also die Frage, welche Wörter wir für etwas verwenden, wie wir sie definieren und was wir bewirken wollen. Dabei kann es um ganz grundlegende Unterscheidungen gehen.

Ein aktuelles Beispiel sind die Bezeichnungen von Corona: Bezeichnen wir Corona eher als „Seuche.“ oder als „Grippe.“ – Das sind komplett unterschiedliche Begriffe mit verschiedenen Bedeutungen und Bewertungen, die automatisch mitschwimmen und auch einen großen Einfluss darauf haben, wie wir sie wahrnehmen, einordnen und was für Entscheidungen wir treffen.

Sprache-Macht-Diskurs

In Ihrem Sprachrealität-Blog beschäftigen Sie sich mit dem sogenannten „Sprache-Macht-Diskurs“. Können Sie einmal bitte kurz erklären, was wir darunter verstehen dürfen?

Bei dem Spannungsfeld von Sprache, Macht und Diskurs geht es darum, wie wir als Gesellschaft über bestimmte Sachen sprechen und wie genau dies dann individuell und kollektiv unser Denken sowie unsere Entscheidungen beeinflusst.

Sprache prägt und konstituiert unsere Weltbilder.

Dr. Clara Herdeanu

In Ihrem Artikel der „Linguistischen Diskursanalyse“ beschreiben Sie Diskurse als „Text- und Gesprächsnetze zu einem Thema, die mit Macht verbunden sind und als Formationssystem von Wissen dienen.“ Können Sie das nochmal etwas genauer erläutern?

Diskurse äußern sich in Sprache. Sie sind quasi Aussagenbündel zu einem Thema oder sogenannte Text- und Gesprächsnetze. Auf der einen Seite gibt es die Gespräche, also die mündliche Sprache und auf der anderen Seite die Texte, die schriftliche Sprache. Diese stehen immer miteinander in Beziehung. Ein anschauliches Beispiel für diese Vernetzung ist die Funktion von „Links“ im Internet: Von einer Seite aus können wir ganz einfach auf die nächste Seite „springen“ und daraus entsteht dann ein großes Netzwerk. Diskurse sind das „Große Ganze“, indem durch Sprache erklärt wird, was wie definiert, bewertet und erinnert wird.

Wörter mit Codepotenzial – was ist das eigentlich?

Wörter mit Codepotenzial können als Teil der Kommunikationsstrategie des rechten Spektrums definiert werden. Schaut man sich den Sprachgebrauch an, den Populist*innen des eher rechten Spektrums verwenden, kann man diesen in drei große Kategorien einteilen:

  1. Wörter und provokante Ausdrücke, die Aufmerksamkeit erregen sollen, beispielsweise „Asyltourismus“.
  2. Wörter mit Codepotenzial, die Doppeldeutigkeiten haben und überwiegend für Eingeweihte verständlich sind, beispielsweise „Rothschilds“.
  3. Die Vereinnahmung von vermeintlich harmlosen Wörtern, die umgedeutet werden. Ein Beispiel ist der Wahlslogan der AfD: „Deutschland. Aber Normal.“

Wörter mit Codepotenzial kann man auch als „dog-whistle“ (Hundepfeifen-Politik) bezeichnen. Es sind Wörter, die auf den ersten Blick relativ harmlos erscheinen; allerdings von der Gefolgschaft verstanden und genutzt werden, um diese zu mobilisieren. Im Nachhinein kann man immer noch „zurückrudern“ und sagen „Das war nicht so gemeint.“

Ist es sinnvoll, diese Wörter mit Codepotenzial in den Medien zu verwenden?

Wörter mit Codepotenzial sind hauptsächlich eine Strategie von Populist*innen, um Macht auszuüben und mit Hilfe von Sprache zu manipulieren. Die Identifikation mit einer bestimmten Gruppe soll dadurch verstärkt werden.

Für Journalist*innen ist es deshalb überhaupt nicht empfehlenswert, Wörter mit Codepotenzial zu verwenden! Sie passen weder zum journalistischen Ethos, noch dienen sie der Informationsvermittlung. Sie sind stets ausschließend, da sie darauf abzielen, dass sie nicht von allen Menschen verstanden werden.

Dr. Clara Herdeanu

„Jeder von uns verwendet Sprache. Jeden Tag. Kommunikation ist die Währung unserer Zeit – sei es als Einzelperson, Gesellschaft oder Unternehmen.Was meinen Sie genau, wenn Sie sagen, dass die Kommunikation die „Währung unserer Zeit“ sei?

Letztendlich wollen wir, als Menschen, alle etwas von anderen Personen. Und ganz egal, was wir machen: – Sobald andere Menschen involviert sind, müssen wir kommunizieren. Wie auch der renommierte Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick betonte, kann man nicht nicht kommunizieren. Wir wollen unsere Position mitteilen und andere Menschen überzeugen, um Entscheidungen zu beeinflussen. Und dadurch üben wir Macht aus.

In der heutigen Zeit, in der wir leben, haben wir die Möglichkeit, viel unmittelbarer, direkter und schneller miteinander zu kommunizieren und uns auszutauschen. Teilweise wird von der „Informationsgesellschaft“ gesprochen, in der wir gerade leben. Insbesondere das Internet ist ein riesengroßes Konglomerat (Zusammenballung) an Kommunikation.

Das ganze Internet ist eigentlich Kommunikation. Die Währung unserer Zeit.

Dr. Clara Herdeanu

Tipps für uns als junge Medienmachende

Worauf sollten wir in der Sprachformulierung in unseren Artikeln besonders achten?

Die Hauptempfehlung ist, aufmerksam und kritisch die eigene und auch die fremde Sprachverwendung zu reflektieren: Darauf zu achten, was a) andere wie sagen und b) was ich wie sage. Für Journalist*innen ist dies besonders relevant, da es ja oft darum geht, dass Formulierungen von Parteien, Unternehmen etc. im Fokus stehen und vor allem dargestellt werden soll, was diese indirekt durch ihre Wortwahl ausdrücken wollen. Gut ist es außerdem, wenn Journalist*innen auf Sprachbilder durch Metaphern und Frames achten und sich stets fragen, was diese bei den Leser*innen auslösen.

Neben der Wortwahl sollte zudem der Aspekt der Grammatik nicht zu kurz kommen. Denn es ist beispielsweise durchaus relevant, ob eine Headline im Passiv oder im Aktiv steht: Sprechen wir zum Beispiel lediglich von einer “vergewaltigten Frau” statt von “Mann vergewaltigt Frau” betonen wir indirekt eben nur die Tatsache, dass etwas passiert ist, lassen aber unter den Tisch fallen, dass dafür auch jemand verantwortlich ist.

Katharina Gläser

Katharina Gläser ist 18 Jahre alt und geht in die zwölfte Klasse. Als kommunikative Person kam ihr beim Thema Machtwort sofort der Aspekt „Sprache“ in den Kopf – und vor allem, wie sie mit dieser die zahlreichen alltäglichen Gespräche beeinflussen kann.

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