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Urban Gardening

Gärtnern wie auf dem Land direkt in der Stadt

Reges Treiben auf dem Tempelhofer Feld. Trotz oder gerade wegen des eher kalten, bewölkten Wetters, das der April mit sich bringt, sind viele Besucher*innen auf dem alten Rollfeld. Einige joggen, andere fahren Fahrrad oder spazieren mit ihrem Hund über das riesige Gelände. Im Hintergrund fliegt jemand einen Lenkdrachen. Relativ nahe an der Grenze des Areals findet sich der Gemeinschaftsgarten des Vereins „Allmende Kontor e.V.“. Der Garten des Vereins ist frei zugänglich – es gibt keinerlei Barrieren rundherum. Nur ein paar Bäume und Beete bilden an manchen Stellen eine Abgrenzung zur freien Wiese.

Im Süden Berlins liegt der einstige Großstadtflughafen Tempelhof. Bereits seit mehr als zehn Jahren fliegt dort jedoch kein Flugzeug mehr. Auf dem ehemaligen Rollfeld finden viele Bürger*innen Berlins einen Platz, um ihren Interessen nachzugehen, darunter auch Urban Gardening. Das urbane Gärtnern, also das Betreiben eines kleinen Gartens in der Stadt, erfreut sich immer mehr Beliebtheit. In fast jeder Stadt findet sich dieses neue Phänomen. Entweder als Balkon- beziehungsweise Dachgarten oder so wie in diesem Fall, eine Fläche voller Hochbeete, die gemeinschaftlich genutzt werden. Bereits seit 2011 existiert der Gemeinschaftsgarten des Vereins „Allmende Kontor e.V.“, der sich seit jeher als Ziel gesetzt hat, ein nachhaltiges Gemeingut der Begegnung und des Klimaschutzes zu schaffen.

In der Ferne spielt Musik. Alles wirkt dort chaotisch, fast schon ein wenig verwüstet.Doch das ist es bei weitem nicht. Bei genauem Hinsehen verbirgt sich hinter dem Chaos ein System. Die Hochbeete sind mit Hilfe von verschiedenen Farben und Zahlen geordnet.
Im Garten kommt man sich gar nicht mehr vor wie in einer Großstadt, sondern vielmehr wie in einem kleinen Dorf, in dem alle sich kennen.

Foto: Alexander Heuer

Ein Ort der Ruhe

Aufgrund der Jahreszeit sind viele Hochbeete noch ziemlich trostlos. Dennoch sprießt vereinzelt Unkraut aus der Erde, daneben suchen aber auch kleine Pflanzen wie Erdbeeren und Kohl ihren Weg ans Tageslicht. Neben diesen nützlichen Pflanzen wurden auch einige Blumen gepflanzt. Die typischen Frühblüher wie Osterglocken, Narzissen und Hyazinthen bringen etwas Farbe in den Garten. Dafür, dass dieser Garten im Herzen Berlins liegt, ist es dort, bis auf die Musik, die aus der Ferne dröhnt, überraschenderweise sehr leise. Man hört hier und dort vielleicht mal ein paar Leute, die sich unterhalten. Das war aber auch das Ziel der Gründer*innen vom Allmende Kontor. „Ein Ort der Ruhe und der geschenkten Zeit“, heißt es im Manifest des Vereins.

Umgeben von den kleinen, teils sehr bizarr gestalteten Hochbeeten, liegt so etwas wie ein Versammlungsplatz. Neben einer Saatgut-Tauschbörse und einer Art überdachter Bühne findet sich dort auch ein Baum, dessen unterste Zweige zu einer Art Dach gebunden sind. Im Sommer entsteht daraus vermutlich ein schönes schattiges Plätzchen. Es ist aber nicht das Ziel, ein Dach zu formen, sondern man versucht, die Linde bei der Bildung einer Baumkrone zu unterstützen. Der Stamm selbst ist durch eine Gerüstkonstruktion aus Holz geschützt. An einem der vier Pfähle hängt ein Zettel. Darauf steht ein Liedtext mit dem Titel: „Die Wurzeln sind frei“ zur Melodie des alten deutschen Volksliedes „Die Gedanken sind frei“.

Meine Freundin hat mir empfohlen, keine Tomaten anzubauen

An der Wasserstelle, die sich in unmittelbarer Nähe zum Versammlungsplatz befindet, holt gerade eine Frau Wasser für ihr Beet. Sie berichtet: „Ich bin erst seit letzter Woche hier im Garten aktiv. Ich wollte einfach, dass mein Sohn trotz des Großstadtlebens mit Natur aufwachsen kann.“ Sie erzählt weiter: „Letztes Jahr gab es tatsächlich sehr viel Probleme mit Müll und Vandalismus. Es wurden sogar teilweise ganze Hochbeete verwüstet. Es gab sogar eine Sondersitzung des Vereins, auf der die Vorfälle besprochen wurden“. Nachdem sie den Vandalismus erwähnt, fällt es mir erst richtig auf: Der Garten hat keinerlei Begrenzungen, die jemanden davon abhalten könnten, die Hochbeete zu verwüsten. „Meine Freundin, von der ich das Hochbeet untergemietet habe, hat mir empfohlen, keine Tomaten oder so etwas ähnlich anzubauen, da Besucher*innen sich gerne an den Beeten bedienen.“ So ist also diese fehlende Abgrenzung Fluch und Segen zugleich. Es schränkt die Nutzer*innen gewissermaßen ein, öffnet den Garten aber auch für alle anderen. Das ist aber auch das Ziel des Vereins: Einen fußläufigen Zugang zur Stadtnatur zu schaffen, die für jeden und für jede zugänglich ist.

Foto: Alexander Heuer

Verkatert

Beim weiteren Wandern durch den Garten treffe ich auf zwei junge Damen. Sie erzählen mir, dass sie jetzt eigentlich Werbung für ein Event machen sollten. Jedoch seien sie verkatert, da sie bis in die tiefe Nacht bei dem Event waren, für das sie werben sollen. „Für uns ist dieser Garten eine Art Zufluchtsort, an dem wir Ruhe von dem Event haben. Nur die Musik hören wir noch.“ Sie genießen die Sonnenstrahlen.
Beim Verlassen des Gartens blicke ich zurück auf das ehemalige Flughafengebäude im Hintergrund und auf den Gemeinschaftsgarten im Vordergrund. Er wirkt wirklich wie eine kleine Oase in der grauen Großstadt. Die Konstruktionen aus wiederverwendetem Holz sehen zwar bizarr aus, bilden aber einen fast schon kunstvollen Rahmen.

Auf dem Weg zurück zur U-Bahn, muss ich immer noch an die Gegensätze in diesem Garten denken. Die Mutter, die für Ihren Sohn ein wenig Natur in die Großstadt bringen will und auf der anderen Seite die Menschen, die diesen Garten einfach nur mitnutzen. Sich dort erholen von einer zu langen Nacht, obwohl sie eigentlich gerade etwas anders tun sollten als die wenigen warmen Sonnenstrahlen zu genießen.

Alexander Heuer

Alexander ist 17 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Hameln. Er geht aktuell noch zur Schule und leitet dort die Schüler*innenzeitungs-AG.

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