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Was braucht der Kotti?

Proteste gegen die neue Polizeiwache am Kottbusser Tor

Meine Einstellung zum „Kotti“, wie der Platz am Kottbusser Tor von den Berliner*innen liebevoll genannt wird, ist bisher hauptsächlich von zwei Erfahrungen geprägt: Dem Lied „Schwarz zu Blau“ von Peter Fox und dem einen Mal, dass ich selbst dort war und fünf Meter nachdem ich den U- Bahnhof verlassen hatte, ein Betrunkener sich direkt vor meine Füße übergab. Meine Erinnerungen charakterisieren den Kotti als das, als was er heute mehrheitlich auch angesehen wird: Ein Hotspot der Berliner Klub- und Nachtlebenszene, sowie der Drogenkriminalität.

Das veranlasste die Berliner Innensenatorin Iris Spranger dazu, in einem Spiegel-Artikel bekanntzugeben, die Stadt plane am Kottbuser Tor eine Polizeidienststelle einzurichten. Um Kriminalität einzudämmen. Ein Vorhaben, das umgehend politische Initiativen auf den Plan rief, die sich „den Kotti nicht nehmen lassen wollen“ und deswegen eine Kundgebung organisierten, um eine neue Polizeiwache am Kottbusser Tor zu verhindern. Die Kundgebung ist Teil eines ganzen Wochenendes von Aktionen gegen polizeiliche Überwachung an verschiedenen Orten in Berlin.

Etwa eine halbe Stunde vor der um 12.30 Uhr beginnenden Kundgebung kommen wir am Versammlungsort an, den bisher nur einige Helfer*innen zum Aufbau und ein Polizeiwagen füllen. Die Aktivist*innen, die Lautsprecher und Infostände, dekoriert mit pinken Transparenten und Luftballons, aufbauen, sind umringt von einer Kulisse aus fassadenbemalten Wohnblocks, alternativen Cafés und Clubs. Auf den Straßen herrscht ein geschäftiges Treiben, Passant*innen gehen shoppen oder sitzen in Cafés. Einige Balkone sind üppig begrünt und das Graffiti an den Wänden beinhaltet nicht nur die bekannten Crew-Namen, sondern auch durchaus kunstvoll ausgearbeitete Bilder. Die Idylle eines Szenestadtteils, oder doch eher eine täuschende Fassade für das städtische Nachtleben?

Keine Polizeiwache am Kotti!

Für die Aktivist*innen der Gruppen „NIKA“ und „les migras“, die die Demo mit organisierten, ist auf jeden Fall klar: Egal, wie viel Kriminalität, mehr Sicherheit wird es am Kottbusser Tor für viele Menschen mit einer neuen Polizeiwache nicht geben. Gemeinsam organisieren sie sich mit anderen politischen Gruppen als Bündnis, das mit seinem Leitspruch „Ihr seid keine Sicherheit“ auf einigen Spruchbändern und in Redebeiträgen klar macht, dass die Polizei am Kotti häufig auch als Bedrohung  statt als „Freund und Helfer“ wahrgenommen wird.

Einer der Redebeiträge wird von einer jungen Person gehalten, die sich selbst als „Linda“ bezeichnet,  ihren echten Namen gibt sie, aus Angst vor Verfolgung durch „Repressionsbehörden“, nicht preis. Linda spricht für „Nationalismus ist keine Alternative“ (NIKA) und ist Produzentin einer Reihe von politischen Video-Essays, die sie unter dem Namen „Vertraut und Seltsam“ auf YouTube veröffentlicht. In ihrem Redebeitrag auf der Kundgebung leugnet sie das Problem mit Drogenmissbrauch und -handel am Kottbusser Tor nicht. Dass jedoch andere Lösungen  her müssten als einfach nur mehr Polizeipräsenz, stehe für sie außer Frage. So sei beispielsweise der

„Fixpunkt e.V.“, eine Zusammenkunft sicherer Konsumräume, in denen Drogenabhängige beaufsichtigt und sicher ihren Rausch erleben können, unterstützenswert. Unterstützung von Drogenabhängigen würde das Problem  nicht einfach nur in ein anderes Stadtgebiet abschieben, sondern an der Wurzel anpacken.

Außerdem würden auch andere Menschen, wie Graffiti-Künstler*innen, durch die höhere Polizeipräsenz gestört, behauptet eine Rednerin, flankiert von sauber gezogenen kalligraphischen Buchstaben und bunten Bilder von Katzen, Sternenhimmeln und tanzenden Menschen. Ein nicht mehr wegzudenkender Teil von Subkultur für viele auf dieser Kundgebung. Aber eine Polizeiwache, das machen auch Protestschilder klar, „braucht der Kotti nicht!“  Die Berliner Stadtregierung hingegen hält die Einrichtung einer Polizeiwache am Kottbusser Tor für sinnvoll. Sie wirke einer weiteren Eskalation von Drogenhandel, Gewalt und den Tätigkeiten einer polizeifeindlichen Szene entgegen. Laut einer Pressemitteilung der DPA verhoffen sich auch Anwohner*innen mehr Ruhe durch die Ansiedlung einer neuen Dienststelle.

rpt

Angst vor rassistischen Polizeikontrollen

Zwischen den Redebeiträgen gibt es Musik und Gespräche zwischen in Gruppen stehenden Menschen entwickeln sich. Eine Gruppe Jugendlicher erzählt in unserem Beistehen von einer beobachteten Polizeikontrolle vor der Demonstration. Dabei seien vorrangig People of Color, also Menschen die nicht als weiß angesehen werden, kontrolliert worden, ohne, dass es Anzeichen für Straftaten gab. Am Kottbusser Tor darf die Polizei sogar solche verdachtsunabhängigen Kontrollen durchführen, denn der Platz gilt bereits seit 1996 als sogenannter „kriminalitätsbelasteter Ort“ (KbO), was den Sicherheitsbehörden vor Ort Sonderprivilegien einräumt. Die Angst vor Übergriffen und rassistischen Kontrollen besteht laut Aktivist*innen von „les migras“, einer Gruppe die sich gegen Diskriminierung von Migrant*innen einsetzt, schon jetzt. Eine von ihnen berichtet uns: „Ich bin nur zwei Straßen entfernt von hier aufgewachsen und habe schon oft Racial Profiling erlebt.“

Die Angst vor rassistischen und unbegründeten Kontrollen wächst nun mit der geplanten neuen Polizeiwache. Gerade deswegen sei es wichtig, das Vorhaben zu verhindern, meint das Bündnis. Ein gesteigertes Sicherheitsgefühl ginge auf Kosten der Sicherheit anderer.

Kotti vs Cops

Nach einigen Redebeiträgen folgt dann ein im Voraus groß angekündigtes Theaterstück im Stile einer Quizshow. Die Quizmasterin, verkleidet als Innenministerin Spranger, stellt die Fragen und lässt den Polizisten „Heinz“ alt aussehen, der sich nicht mehr daran erinnern kann, wie das bekannte Sprichwort „Die Polizei ist dein Freund und Helfer“ endet. Die Kunstfigur Heinz ist außerdem der Meinung, alle Ausländer seien kriminell und seien die Wurzel allen Übels in Berlin.

Trotz einer miserablen Performance gewinnt die Polizei am Ende die Show und glänzt mit ihrem Preis: der goldenen (Überwachungs-)Kamera. Eine satirische Auseinandersetzung mit strukturellen Problemen von Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei, die man eventuell auch als vorausdeutende Metapher auf das Ende der Auseinandersetzung deuten kann: Am Ende gewinnt die Polizei, bekommt eine schicke neue Wache, und von der protestierenden Masse bleiben nur vereinzelte Buh-Rufe.

Luca Schneider

Luca Schneider ist 19 Jahre alt und macht aktuell ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Jungen Presse Niedersachsen. Er war als Schüler in einer Schüler*innenzeitung aktiv. Seine Lieblingsthemen sind Klima, soziale Bewegungen und (Jugend)kultur.

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