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Frau Dr. Weiss, was ist überhaupt Vertrauen? 

„Wer anderen vertraut, erreicht größere Ziele“, sagt die Psychologin Alexa Weiss von der Universität Bielefeld. Journal-Autorin Lisa Hofmann hat sie gefragt, wie Vertrauen entsteht – und ob es sich überhaupt lohnt zu vertrauen.

Frau Dr. Weiss, was ist überhaupt Vertrauen? 

Vertrauen bedeutet sich verletzlich zu machen in der Erwartung, dass der Andere dies nicht ausnutzen wird, sondern in unserem Sinne handelt. Man geht also ein gewisses Risiko ein, gibt Kontrolle ab, macht sich verletzlich und verlässt sich auf die andere Person, weil man erwartet, nicht ausgenutzt zu werden. 

Und unter welchen Umständen vertrauen Menschen einander? 

Es gibt verschiedene Einflussfaktoren auf Vertrauen. Menschen unterscheiden sich darin, ob sie generell glauben, dass Menschen von Natur aus schlecht sind und dass sie egoistisch handeln. Es gibt also interindividuelle Unterschiede darin, wie sehr wir dazu neigen, anderen zu vertrauen. Generell vertrauen Menschen nahestehenden Personen mehr als unbekannten. Zu fremden Personen bauen sie Vertrauen auf, wenn sie übereinstimmende Interessen haben. Bei Interessenskonflikten hingegen besteht das größere Risiko, dass die andere Person in ihrem eigenen Sinne handelt und uns ausnutzt. Damit Menschen Vertrauen aufbauen, sind eine gewisse gegenseitige Abhängigkeit und ähnliche Machtverhältnisse förderlich. Im Kontrast dazu fördern ungleiche Machtverhältnisse das Misstrauen. 

Welche Eigenschaften zeichnen eine vertrauenswürdige Person aus? 

Wenn wir Leute bereits kennen, ihnen positive Motive unterstellen und positive Interaktionen pflegen, erscheinen uns diese Personen vertrauenswürdig. Wichtig ist, dass wir die Fähigkeit zur Selbstdisziplin bei anderen wahrnehmen, also davon ausgehen können, dass diese verlässlich sind. Wir schließen aber auch vom äußeren Erscheinungsbild oder der Zugehörigkeit zu gleichen sozialen Gruppen auf die Vertrauenswürdigkeit anderer. Diese Einschätzungen können falsch, verzerrt oder sogar diskriminierend sein. Häufig gibt es Situationen, in denen unsere Interessen nicht mit denen der anderen Person übereinstimmen. Wenn Personen sich dennoch in unserem Sinne verhalten und nicht nur eigenen Interessen nachgehen, wird Vertrauen gefördert. 

Inwieweit beeinflusst unser persönliches Selbstwertgefühl das Vertrauen in andere?

Es gibt eher einen positiven Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und Vertrauen. Das heißt, dass Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl anderen Menschen weniger vertrauen. Das könnte vielleicht daran liegen, dass sie fürchten nicht gemocht zu werden. Der genaue Zusammenhang bzw. was hier was beeinflusst ist allerdings noch unklar. Ähnlich ist das wiederum bei Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitszügen, genauer Menschen, die eher dazu neigen, ein überhöhtes oder grandioses Selbst aufrechtzuerhalten, indem sie andere abwerten: Hier zeigen Studien, dass auch sie anderen Personen stärker misstrauen. 

Eine bekannte Redewendung lautet: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Hat Vertrauen also seine Grenzen und wenn ja, welche? 

Wenn man den Eindruck hat, dass die andere Person stark auf den eigenen Vorteil bedacht ist, unehrlich erscheint und wenig Selbstdisziplin vorweist, sorgt dies für Misstrauen. Konkret ist das aber sehr individuell abhängig von der Situation und den Personen. Ein gewisses Maß an Vertrauen ist allerdings sehr sinnvoll. Misstrauen kann nämlich konstruktiver Zusammenarbeit im Weg stehen. Es gibt Studien, die belegen, dass Personen, die anderen eher vertrauen, zufriedener sind und ein höheres Einkommen haben. Man sollte natürlich nicht komplett vorbehaltlos vertrauen. Grundsätzlich ist Vertrauen aber vorteilhaft und macht es einfacher Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen. 

Menschen können untereinander emotional enge Beziehungen aufbauen. Einen Zusammenhang gibt es bestimmt auch zwischen Vertrauen und solcher Bindung. Wieso haben manche Menschen Angst sich zu binden? 

Allgemein lässt sich sagen, dass Vertrauen eine enorm wichtige Komponente romantischer Beziehungen ist. Personen mit Bindungsängsten haben stärkere Befürchtungen, dass andere sie ablehnen oder zurückweisen und benötigen viel Versicherung und Zuwendung von ihren Partner*innen. Andere Personen mit einem eher vermeidenden Bindungsstil mögen es weniger, von anderen Personen Unterstützung zu erhalten oder wenn von ihnen Unterstützung, Emotionalität und Verlässlichkeit erwartet wird, und versuchen diese wechselseitige Abhängigkeit zu vermeiden. Die Vorstellung von romantischen Beziehungen basiert stark auf den Erfahrungen der elterlichen Sorge. 

Insbesondere unserer Generation wird nachgesagt, sie habe Schwierigkeiten sich zu binden. Auf Dating-Portalen suchen viele junge Menschen lediglich nach lockeren Beziehungen und rein körperlicher Liebe. Befürchten junge Menschen, dass sie ihre Unabhängigkeit durch Bindung einschränken? 

Mir sind keine generationsvergleichenden Studien dazu bekannt, inwiefern ein unsicherer Bindungsstil aktuell zunimmt. Grundsätzlich vertrauen auch junge Leute anderen Menschen stark. Jede romantische Beziehung setzt eine gewisse Interdependenz voraus. Um ein gemeinsames Leben zu gestalten, ist gegenseitiges Vertrauen erforderlich, was Verletzlichkeit und Abhängigkeit von der anderen Person mit sich bringt. Diese gegenseitige Abhängigkeit fördert das Vertrauen und vertieft somit die Intimität einer Beziehung. 

Schließen sich denn Unabhängigkeit und Bindung gegenseitig aus? 

Wer eine romantische Bindung eingeht, gibt nicht gänzlich seine Unabhängigkeit auf. Im Gegenteil, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit können die Beziehung sehr fördern. Partner*innen sollten sich deshalb weiterhin als Individuen wahrnehmen und entwickeln können. Auch individuelle Überzeugungen haben in diesem Zusammenhang einen Einfluss auf die Beziehungsqualität. Menschen unterscheiden sich darin, inwiefern sie davon ausgehen, dass in ihrer Beziehung Konflikte und Probleme zum Besten beider Partner*innen gelöst werden können, oder dass immer eine Person „gewinnt“ und die andere „verliert“. Interessenskonflikte müssen aber nicht immer negativ gedeutet werden und auch Kompromisse können eine Win-Win-Situation darstellen. Wer eher von Letzterem ausgeht, der ist auch zufriedener in einer Beziehung, auch wenn es immer wieder mal widerstreitende Interessen gibt, wobei wir in unseren Zielen und Bedürfnissen von der anderen Person abhängig sind.  

Vertrauen macht verletzlich. Wir bieten eine Angriffsfläche und laufen Gefahr ausgenutzt oder verraten zu werden. Warum sollten wir dieses Risiko eingehen? 

Vertrauen ist enorm wichtig für enge interpersonelle Beziehungen und alltägliche soziale Interaktionen, denn Menschen haben als soziale Wesen das Bedürfnis nach sozialen Bindungen. Vertrauen ermöglicht Kooperation und wir können Ziele erreichen, die wir alleine nicht erreichen könnten. Menschen mit stärkerem Vertrauen sind somit gesünder, zufriedener und wohlhabender. Es lohnt sich also absolut anderen Menschen zu vertrauen. 

Lisa Hofmann

ist 20 Jahre alt. Nach ihrem Abitur 2021 zog sie von Lüneburg nach Köln, um dort im Rahmen eines FSJ Kultur beim WDR zu arbeiten. Neben ihrer Arbeit in der Musikredaktion moderiert sie den Podcast „Kulturpunsch“ der Freiwilligendienste Kultur und Bildung in NRW.

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