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Keine Aufregung, nur Angst vor Langeweile

Gespräche mit Politiker*innen vor Millionenpublikum, das ist für Jörg Schönenborn eine “ganz normale Gesprächssituation”. Wie ist es eigentlich, die Wahlshows der ARD zu moderieren? Das haben wir ihn gefragt, als wir ihn am Rande einer Probe im Wahlstudio mit Fragen löchern durften.

Es ist kurz nach sechs, Bernd Althusmann (CDU) wird in das ARD Studio dazu geschaltet und tritt aufgrund der schlechten Wahlergebnisse zurück. Ein realistisches Szenario, nur ist es eigentlich erst Samstag, die Wahllokale sind noch nicht geöffnet und Bernd Althusmann ist eine Frau.

Etwas außer Atem kommen wir in Halle 33 auf dem Messegelände in Hannover an. Für diesen Programmpunkt, die Besichtigung des ARD-Wahlstudios zur niedersächsischen Landtagswahl, mussten wir aus der hannoverschen Innenstadt aufs Messegelände flitzen, immerhin ein Weg von 45 Minuten. Ein Weg, der bereits im Vorfeld für Diskussionen gesorgt hat: Die Politiker*innen wollen für ihre Statements im ARD-Studio nicht den weiten Weg nach Hannover Messe antreten, die ARD bekommt ihr genormtes Wahlstudio nicht auf dem zur Verfügung stehenden Platz im Landtag. Also haben wir die Reise auf uns genommen, um uns einmal aus nächster Nähe mit der Wahlberichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen vertraut zu machen.

Wir – das sind ein Dutzend junge Journalist*innen aus ganz Niedersachsen und darüber hinaus, die am Landtagswahlreportageseminar der Jungen Presse Niedersachsen teilnehmen und nun in der vergleichsweise kleinen Messehalle stehen, während um uns herum bereits geschäftiges Treiben herrscht.

Ein Mitarbeiter begrüßt uns und führt uns schnell durch einen Korridor zwischen zwei Studios, links NDR, rechts ARD, darauf bedacht, dass wir bloß nicht im Weg stehen. Neben uns proben Mitarbeiter*innen bereits Szenarien für den morgigen Wahlabend. Die Reporter*innen, die morgen Politiker*innen interviewen werden, mimen heute Bernd Althusmann oder Stephan Weil, um schon einmal die Abläufe der Interviews zu planen. Denn eins ist klar: Nur noch ein Tag bis zur Landtagswahl – bei der heutigen Probe sollte möglichst alles sitzen, damit es glatt über die Bühne geht.

Schnell durch das Labyrinth von Kameras, Lichtern, Kabeln und provisorisch errichteten Räumen für die Maske geführt finden wir auf einem kleinen Podest Platz, von dem wir die Arbeit in den Studios überblicken können. Nach einiger Wartezeit kommt Jörg Schönenborn, bereits fertig gekleidet für die anstehende Probe. Alle setzen sich in einen großen Stuhlkreis und bevor wir anfangen können, ihn mit Fragen zu löchern, erzählt der Moderator, wie er zum Journalismus gekommen ist.

Schon als Jugendlicher hat er für die Schüler*innenzeitung geschrieben, ursprünglich wollte er jedoch Ingenieur oder Physiker werden. Während der Arbeit bei der Pressestelle der Bundeswehr hat er dann den Journalismus endgültig für sich entdeckt. Auf ein politikwissenschaftliches Studium folgte ein Volontariat beim WDR. Jahrelang war er als Reporter im Ausland unterwegs, “immer da, wo es gebrannt hat”. Dabei fiel seine Souveränität in den Liveschalten auf, sodass er 1999 schließlich seinen ersten Wahlabend moderierte. Seit mehr als zwanzig Jahren führt er nun durch die ersten Hochrechnungen, wenn die Wahllokale schließen. Die unterschiedlichsten Politiker*innen hat er dabei begrüßen dürfen, er selbst ist geblieben.

Über die Jahre haben sich seine Aufgaben allerdings verändert. Während er früher hauptsächlich Zahlen vorgelesen habe, bieten die Sendungen den Zuschauer*innen nun Hintergrundanalysen und weitere Erklärungen für die Ergebnisse.

Im Gespräch mit ihm dreht sich erstmal sehr viel um Zahlen. Uns interessiert, wie ARD und ZDF eigentlich an Hochrechnungen und Voraussagen kommen. Angesichts sinkender Festnetzanschlüsse hat man sich nach neuen Datenquellen umgesehen. Für die Wahlprognosen arbeitet man mit Payback zusammen. An den Wahlabenden selbst arbeitet die ARD mit infratest dimap zusammen, um in ausgewählten Wahlbüros durch einen extra Wahl- und Fragebogen Wahlprognosen, Wähler*innenwanderugen und weitere Statistiken zu errechnen. Daraus errechnet das Statistikinstitut dann auch die Prognosen, die um 18 Uhr bekannt gegeben werden. Etwa eine Stunde vorher werden die Zahlen den Parteien zur Vorbereitung übermittelt – eine Veröffentlichung ist aber streng verboten und zieht sogar hohe Strafen nach sich, es kann schließlich noch die letzten Wählenden beeinflussen.

Sobald die Wahlkabinen schließen, beginnt die Arbeit von Schönenborn. Punkt 18 Uhr verkündet er die ersten Hochrechnungen, auf die die Parteimitglieder auf den Wahlpartys zu diesem Zeitpunkt schon sehnlichst warten. Nach ersten Einordnungen kommen dann die Interviewgäst*innen. Besonders gerne erinnert sich Schönenborn an die Wahl 2013 zurück. Noch im Studio kippte das Ergebnis. Vor laufender Kamera erfuhr Stefan Weil, dass die SPD vorne lag und er damit wahrscheinlich Ministerpräsident werden würde. Spontan vor der Kamera reagieren, unerwartete Ergebnisse einordnen, dieser Nervenkitzel gefällt Schönenborn. Vor dem Wahlabend in Niedersachsen hat er deshalb auch eigentlich nur “Angst vor Langeweile.”

Eine der letzten Fragen, die wir an ihn richten: Wie ist das eigentlich so, vor einem Millionenpublikum im Fernsehen aufzutreten? “Eigentlich wie ein ganz normales Gespräch”, antwortet er gelassen, “In jedem Wohnzimmer sitzen ja meist nur ein paar Leute.”  Auch Interviews mit Politiker*innen betrachtet er meist als normale Gesprächssituationen. Wenn die Kamera aus ist, unterhält man sich auch mal privat – meistens. Dennoch gibt es durchaus Situationen, die sogar einen entspannten Schönenborn aus der Ruhe bringen. “Als ich mit dem russischen Präsidenten Putin gesprochen habe, konnte ich seinen aggressiven Gesprächsstil regelrecht spüren.” 

Es kommt wie geprobt: Bernd Althusmann tritt zurück. Nach dem Wahlabend wird das Studio in den Messehallen wieder in die LKW gepackt und Schönenborn sitzt zurück im Zug nach Köln. Denn das Moderieren des Wahlabends ist eigentlich nur ein Nebenamt[3] , also zählt es zu seiner Arbeitszeit, extra Gehalt bekommt er dafür aber nicht. Als hauptberuflicher WDR Programmdirektor wählt er sich direkt in die nächste Strategiekonferenz für die ARD Mediathek ein.

Anna Abraham und Luca Schneider

Im Rahmen eines Seminars zur Landtagswahl hat die Junge Presse unter anderem das ARD Wahlstudio besucht. Während der Probe für die Wahlshow haben Luca und Anna ihr bestes getan, um nicht im Weg zu stehen. All das fanden sie ganz schön aufregend, denn eine Sendung mit Millionenpublikum ist für sie alles andere als eine normale Situation.

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