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Wer will mit wem zusammen sein?

Rot-grün oder schwarz-grün, Weil oder Althusmann, FDP im Landtag oder nicht – diese Fragen stellt man sich bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 09. Oktober 2022. Da in diesem Wahlkampf die Themen eher zweit- oder sogar letztrangig scheinen, sind hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen: Wer will mit wem zusammen sein, wer möchte nicht mehr neben wem sitzen und will Julia Hamburg Ministerpräsidentin werden?

Der Zerfall der GroKo

Eine neue Regierung wird es in Niedersachsen wohl auf jeden Fall geben, zumindest wenn man den Wünschen der Parteien Glauben schenken darf. Denn nicht nur Oppositionsfraktionen FDP und Bündnis 90/Die Grünen wünschen sich eine Regierungsbeteiligung und somit ein Ende der GroKo. Auch die SPD liebäugelt mit einer Veränderung, konkret mit einer rot-grünen Regierung. Besonders Ministerpräsident Stephan Weil betont in Interviews immer wieder, welch positive Erfahrungen er in der Legislaturperiode von 2013 bis 2017 gemacht habe. Im Interview mit dem Format „Jung & Naiv“ erklärte er hierzu, mit den Grünen habe man sich nie über die Ziele streiten müssen, lediglich über die Wege.

Mit der Regierungspartnerin CDU kriselt es derzeit hingegen gewaltig. Gerade im Wahlkampf folgt aktuell ein Seitenhieb dem nächsten. Denn schon mehrfach betont die CDU unter dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Bernd Althusmann: Sie sei nicht diejenige, die nicht mehr zusammen regieren wolle.

Eine zerbrochene GroKo ist nichts neues. Denn was in Niedersachsen gerade passiert, haben wir schon letztes Jahr auf Bundesebene erleben dürfen. Ob Angst vor der Opposition oder verletzte Eitelkeit – die Kritik an der Ampel zieht sich bis nach Niedersachsen. „Nur die Ausreden der Ampel werden immer billiger“ ist hier mittlerweile auf Wahlplakaten zu sehen, auch Äußerungen über ein Ampelgehampel sind dabei.  Finalisiert wurde dieser Konflikt in dem letzten Plenum des Landtages im September.

Besonders deutlich wurde der Spalt zwischen den Koalitionspartnern im TV-Duell im NDR. Auch wenn für die Allgemeinheit danach vielleicht kein Gewinner, geschweige denn neue Thesen oder Argumente aufgebracht wurden, steht nach diesem Duell nur eines wirklich fest: Die GroKo ist zerstritten wie nie.

Neues oder altbewährt – mit wem wollen die Grünen?

Die Grünen sprechen sich bisher noch nicht klar für eine bestimmte Wunschkoalition aus. Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg betont in mehreren Interviews, man werde sich mit allen demokratischen Parteien zusammensetzen und schauen, wo am Ende die meisten Ziele der Grünen verwirklicht werden können. Von der Seite der SPD wird das oft kritisiert: Nicht nur Weil selbst nimmt in Diskussionsrunden hierauf immer wieder Bezug, auch die Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag, Johanne Modder, fordert im letzten Plenum lautstark: „Entscheiden Sie sich, Frau Hamburg!“

Doch warum überhaupt entscheiden? Zweifelsohne ist eine schwarz-grüne Regierung nicht so ausgeschlossen wie etwa vor zehn Jahren. Damals noch schier unvorstellbar sind andere Bundesländer in Deutschland diesen neuen Weg gegangen: Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen. In Hessen befindet sich schwarz-grün sogar schon in der zweiten Legislaturperiode. Trotzdem: Wer sich ein bisschen mit der niedersächsischen Parteienlandschaft auseinandersetzt wird sich wundern, wenn schwarz-grün einer rot-grünen Koalition vorgezogen würde. Nicht zuletzt, weil die rot-grüne Regierung eine Geschichte in Niedersachsen hat. Denn nicht nur die Legislaturperiode von 1990 bis 1994 oder die Ein-Stimmen-Mehrheit von 2013 bis 2017, die erst kurz vor Schluss zu Ende ging – auch beim letzten Wahlabend, als die SPD einen großen Wahlsieg zu verzeichnen hatte, war die Hoffnung auf eine mögliche Koalition groß und zerschlug sich letztlich doch. Jetzt liegt sowohl in sozialdemokratischen als auch in grünen Kreisen schon wieder Hoffnung auf einer gemeinsamen Regierung. Der grüne Spitzenkandidat Christian Meyer sagte im Interview mit der NOZ: „Mir fehlt momentan in der Tat ein bisschen die Fantasie für eine Koalition mit einer CDU, die in den Achtzigern steckengeblieben scheint.“ Dennoch: Ausgeschlossen ist nichts.

Die Medien stellen bei den Grünen aber nur ein Thema in den Vordergrund: Will Julia Willie Hamburg Ministerpräsidentin werden, kann Christian Meyer in diesem Fall zurückstecken, welche Ministerien wollen die Grünen? Ein interessanter Aspekt, auf den beide Spitzenkandidaten jedes Mal mit einem ruhigen „Wir werden die Wahl abwarten“ antworten. Eine so ruhige Antwort, dass selbst der HAZ nichts Besseres einfällt, als ihre eigene Frage als Interviewtitel zu nehmen: „Wollen Sie Ministerpräsidentin werden, Frau Hamburg?“

Regierungsoption in weiter Ferne

Und was ist mit der vierten Fraktion im Landtag, der FDP? In der letzten Zeit nimmt sie ihre Oppositionsrolle besonders ernst. Ob Kritik am Oppositionspartner Grüne oder scharfe Schüsse gegen die Regierung. Obwohl Birkner sich nach außen sehr sicher zeigt, nicht an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, wundert dies nicht wirklich.  Je dichter CDU und SPD beieinander liegen, desto mehr Stimmen fließen diesen beiden zu. Denn je nach Umfrage reicht es aktuellmanchmal bei beiden nicht für eine Koalition mit den Grünen – dann ist die letzte Wahl wohl nur eine erneute GroKo. Egal, wer etwas Neues oder seiner Partei in der GroKo die Führung überlassen will, wählt keine FDP. Mit Sicherheit ein Grund dafür, dass die FDP (übrigens wie die CDU) gerade im Wahlkampfendspurt auf eine starke Zweitstimmenkampagne setzt. Währenddessen werben die Grünen so stark für Erst- UND Zweitstimme, dass sie mit Julia Hamburg und Evrim Camuz zum ersten Mal eine echte Chance auf ein niedersächsisches Direktmandat haben.

Bald wieder als Fraktion vereint

Definitiv keine Sorgen um den Einzug in den Landtag muss sich die AfD machen. AfD-Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes wünscht sich zwar zwölf Prozent, je nach Umfrage werden es aber wohl etwa zehn werden. Wie kann ausgerechnet eine Partei für die Landtagswahl so stark werden, die sich selbst in der letzten Legislaturperiode so sehr zerstritten hat, dass sie sich sogar im Landtag auseinandersetzen mussten. Der Streit zwischen rechten und moderaten Kräften der AfD scheint zwar die Landtagsfraktion, nicht aber die Parteimitglieder oder Wähler*innen auseinandergerissen zu haben. Denn mit ihrem nach außen gemäßigten Spitzenkandidaten können wirklich Rechte und Frustwähler*innen für die Partei gewonnen werden. So redet er im TV-Triell erst einmal über seine sehr atomaren Energiepläne, beendet seine Thematik dann aber mit einem Vortrag über Gender-Gaga und erklärt dem Moderator, die Regenbogenideologie der grün-sozialistischen Partei wolle ihm einreden, dass er kein Mann, sondern Elternteil 1 sei. Enden tut das Gespräch dann mit einem minutenlangen Anbrüllen von ihm und Birkner, bei dem beide nicht wirklich positiv wegkommen. Koalieren möchte mit der AfD zwar niemand, den Fraktionsstatus wird die AfD vermutlich trotzdem wieder erhalten. Wie wird ein Parlament aussehen, wenn bei einer rot-grünen Regierung und einer FDP, die es nicht in den Landtag schafft, die Opposition nur aus CDU und FDP besteht?

Da war ja noch was – Die Themen

Welche Themen? Das wichtigste Thema der Landespolitik, die Bildung, wird natürlich auch irgendwie in diesem Wahlkampf angegangen. Dass endlich alle Lehrstellen in Niedersachsen mit A13, also gleich vergütet werden sollen, darin sind sich die Landtagsfraktionen schon mal einig. Ansonsten geht es häufig darum, wer wem den Dreck in die Schuhe schiebt. Die Opposition aus Grünen und FDP der GroKo, die CDU der Ampelregierung und dem Bund, die AfD einfach allen. Das gilt übrigens auch für die Energiepolitik, bei der die Bundesebene in jede Diskussion hineingezogen wird. Denn bei dem Thema Entlastung der Bürger*innen will die CDU den Bund kritisieren, die Grünen fordern, die Reste des Corona-Sondervermögens zu verwenden. Nachdem Weil von der Opposition stark dafür kritisiert wurde, dass er sich nicht mit ihnen auseinandergesetzt habe, um seine nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für solche Vorhaben zu erreichen, ist seine Antwort auf das alles: Ein Eine-Milliarde-Entlastungspaket für Niedersachsen- natürlich nur, wenn er wiedergewählt wird.

Diese Wahl wird wichtig. Nicht nur, weil Wahlen in diesen Jahren immer entscheiden, ob Klimaziele tatsächlich eingehalten werden können oder sozialer Wandel funktioniert, ob nach der Coronakrise auch die Krise, die aus Putins Angriffskrieg auf die Ukraine folgt, bewältigt werden kann. Die Fragen, die sich mir stellen: Was passiert, wenn es nicht für rot-grün reicht? Eine Fortsetzung der GroKo scheint ziemlich schwierig und ob mit der FDP mit gesunkenen Umfragewerten eine Ampel möglich ist, ist auch nicht sicher. Und: Wie würde ein Landtag aussehen, in dem eine große Opposition von der CDU und der AfD zusammengestellt wird?

Wahl verpasst?

Am 09.10.22 ist in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt worden. Die Regierung bilden die SPD (33,4%) und Bündnis 90/Die Grünen (14,5%). Die Opposition bilden die CDU (28,1%) und die AfD (10,9%). Mit 4,7% ist die FDP nicht mehr im Landtag vertreten.

Rieke Duhm

Rieke Duhm ist 17 Jahre alt, im Vorstand der Jungen Presse Niedersachsen und geht noch zur Schule. Sie hat eine Leidenschaft für Politik und Journalismus - am besten gefällt ihr gerade die Mischung daraus.

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