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Heute circa 40 Moneten teurer

Wie groß war der Einfluss des 9-Euro-Tickets auf das Klima wirklich? Wie hat das Ticket soziale Teilhabe verändert? Eine Bilanz.

„Eine der besten Ideen, die wir je hatten“, reflektierte Bundeskanzler Olaf Scholz über das 9-Euro-Ticket. 52 Millionen verkaufte Tickets und 88 Prozent Zufriedenheit der Kundinnen belegen seine Einschätzung. Doch was können wir langfristig von diesen Erfahrungen lernen? Wie groß war der Einfluss des 9-Euro-Tickets auf das Klima wirklich? Wie hat das Ticket soziale Teilhabe verändert? Und kann ein 49-Euro-Ticket, wie es jetzt geplant ist, die gleichen Vorteile bringen? Lag Scholz richtig, wenn er von einer seiner besten Ideen sprach? Mit dem vergünstigten Verkehrsticket sollten die Bürgerinnen nicht nur finanziell entlastet werden, man wollte auch einen „Anreiz zum Umstieg auf den klimaschonenden ÖPNV und zur Einsparung von Kraftstoffen” schaffen, wie es auf der offiziellen Seite der Bundesregierung heißt. Doch hat man das geschafft?
Und der Verzicht auf Autofahrten war tatsächlich auch der zweithäufigst genannte Kaufgrund (42 Prozent). Jedoch verzichtete letztendlich nur jeder zehnte Kaufende tatsächlich auch auf mindestens eine seiner täglichen Autofahrten.
Es fuhren allerdings nicht nur weniger Menschen mit dem Auto, es gab beispielsweise auch Umstiege vom Fahrrad zum ÖPNV. Die Radfahrerin, die zuvor auch noch im Dezember und bei Regen mit dem Fahrrad zum Büro fuhr, wurde also mindestens genauso für einen Umstieg auf den ÖPNV motiviert, wie der tägliche Pendler, der zuvor immer mit dem Auto zur Arbeit fuhr. Nur durch ein vergünstigtes Nahverkehrsticket bringt man einen Großteil der Pendelnden also nicht zum Umstieg auf einen klimaschonenden ÖPNV.
Nur jeder zehnte verlagerte Fahrten vom Auto auf den ÖPNV. Was sich zunächst einmal ernüchternd liest hat dennoch positive Auswirkungen auf das Klima. Jeden Monat wurden durchschnittlich 600.000 Tonnen CO2 eingespart. In den drei Monaten kamen so schon rund 1,8 Mio. eingesparte Tonnen CO2 zusammen. Zum Vergleich: 2021 hat Deutschland insgesamt rund 762 Mio. Tonnen CO2 ausgestoßen. Eingespart wurden also weniger als 0,24 Prozent der Gesamtemissionen. Man sollte sich allerdings die Frage stellen, was man realistischerweise von einem solchen Ticket überhaupt erwarten kann. Denn auf der anderen Seite hat man durch das 9-Euro-Ticket auch genauso viel CO2 eingespart wie ein Jahr Tempolimit 130 eingespart hätte.

Volle Straßen, volle Züge

In den Monaten des 9-Euro-Tickets waren kaum weniger Autos auf den Straßen unterwegs, die Züge waren unterdessen überfüllt. Besonders zu Beginn und zum Ende des Tickets fuhren zeitweise 50 Prozent mehr Menschen gegenüber 2019. Wie ist das zu erklären?
Der größte Teil der zusätzlichen Mobilität müsste also einen anderen Hintergrund haben. Die Fahrten müssten zusätzliche sein. 60 Prozent nutzen ihr Ticket für Ausflüge- und Freizeitaktivitäten am Wochenende sowie 34 Prozent für Freizeitaktivitäten unter der Woche.
Wie beeinflussen diese Mehrfahrten mit dem Zug unsere Gesellschaft? Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn sich plötzlich jeder die Fahrt in den Urlaub leisten kann?
Monatskarten sind teuer. Während man in München bereits mindestens 57 Euro für ein solches Ticket bezahlt, sind es in Berlin schon 86 Euro und in Hamburg ganze 112 Euro. Im Hartz IV Regelsatz sind jedoch aktuell nur 40,27 Euro im Monat für Mobilität vorgesehen, somit bleibt für Betroffene eine solche Monatskarte Wunschdenken.
Eine vierköpfige Familie zahlt für die Fahrt mit der Bahn in den Urlaub schnell einmal über 100 Euro nur für eine Strecke. Gerade mit einer aktuellen Inflationsrate von rund 10 Prozent wird der Urlaub so für viele Familien mit geringerem Einkommen schnell unrealisierbar. Durch das 9-Euro-Ticket konnten diese Familien seit langer Zeit wieder gemeinsam in den Urlaub fahren. „Bezahlbare Mobilität für alle”, womit die Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag geworben hat, wurde plötzlich gelebte Realität. Urlaub, kulturelle Bildung und soziale Teilhabe wurden Wirklichkeit. Jugendliche, die zwei Jahre lang nur die eigenen vier Wände sahen, standen nun ganz Deutschland offen.
Wenn wir soziale Teilhabe ernst nehmen wollen, dann muss eine Nachfolge zum 9-Euro-Ticket also auch für all diese Gruppen bezahlbar sein.
Oft hört man allerdings von verschiedenen Politiker:innen, dass eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets nicht realisierbar sei. Die Kosten, für die die Steuerzahler*innen in Deutschland aufkommen müssten, seien zu hoch.

Quelle:unsplash

Was kostet den Staat das 9-Euro-Ticket?

2,5 Milliarden Euro gab der Staat für die Subventionierung des Ticket aus. Der Bund stellte den Ländern dieses Geld für die fehlenden Ticketeinnahmen bereit.
Kritik daran kam beispielsweise vom Bund der Steuerzahler: Durch das 9-Euro-Ticket seien die Steuerzahler:innen in Deutschland erheblich belastet worden. Umgerechnet
30 Euro müsste jeder Bürgerin durch aktuelle und zukünftige Steuergelder bezahlen. Damit hätte das 9-Euro-Ticket sein eigentliches Ziel als Entlastungsmaßnahme verfehlt.
Auf ein Jahr hochgerechnet kommen so schon 10 Milliarden Euro für den Bund zusammen. Zum Vergleich: Der gesamte Verkehrsetat umfasst 2022 36 Milliarden Euro. Allerdings verliert der Bund jährlich rund 9,5 Milliarden Euro durch Steuervorteile beim Diesel sowie weitere 5,5 Milliarden Euro durch die Pendlerpauschale. Somit wäre eine Weiterführung eines vergünstigten ÖPNV Ticket auch ein „Ja” zur Schiene und ein „Nein” zur weiteren Subventionierung des Straßenverkehrs, der bisher den größten Teil des Bundeshaushalts ausmacht.
Wie man das 9-Euro-Ticket bzw. ein weiteres Folgeticket finanzieren möchte, ist also auch immer eine Frage der Perspektive. Möchte man für ein solches Ticket andere Subventionen z.B. im Straßenverkehr, die deutlich klimaschädlicher, aber durchaus in anderen Bereichen wirksamer sind, streichen? Gerade Menschen auf dem Land sind auf Subventionierungen wie die Pendlerpauschale angewiesen und würden durch den schlechter ausgebauten ÖPNV in ihrer Region auf der anderen Seite nicht von einem vergünstigten Verkehrsticket profitieren.
Und wie möchte man andererseits damit umgehen, wenn durch Steuergelder und durch den Verzicht auf andere Subventionen zum großen Teil zusätzliche Wochenendfahrten finanziert werden? Neue Finanzhilfen und Subventionen sollen, so der selbstauferlegte Anspruch der Bundesregierung, nur dann gewährt werden, wenn sie gegenüber anderen Maßnahmen das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen. Aber gibt es keine kostengünstigeren Alternativen zum 9-Euro-Ticket ? Kann soziale Teilhabe nicht auch durch ein Sozialticket gewährleistet werden? Kann ein besser ausgebauter ÖPNV nicht genauso viele Menschen fürs Bahnfahren motivieren? Verhindert man durch Streichungen klimaschädlicher Subventionen des Autos nicht auch Autofahrten? All diese Fragen müssen vorher geklärt werden.

Österreich und Luxemburg als Vorbilder?

Ein günstiges ÖPNV-Ticket muss also vielen Hürden standhalten: Es soll soziale Teilhabe ermöglichen, dem Klimaschutz dienen und gleichzeitig noch bezahlbar sein. In Österreich hat man scheinbar eine gute Lösung für diese Herausforderungen gefunden.
365 Euro – soviel zahlen die Menschen in Wien, um ein Jahr lang in ihrem Bundesland unbegrenzt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Für drei Euro pro Tag, also für 1.095 Euro im Jahr, können Österreicherinnen im ganzen Land alle Verkehrsmittel benutzen. Dazu gehört auch der Fernverkehr, der beim 9-Euro-Ticket nicht enthalten war. Das neue Klimaticket, welches sogar über einen eigenen Merch-Shop verfügt, hat bereits jetzt viele Befürworterinnen. „Seit 2015 sein mehr Jahreskarten verkauft worden als es angemeldete Autos in der Stadt gibt.“, so die Wiener-Linien-Sprecherin. Bislang habe man 160.000 Klimatickets verkaufen können, monatlich kämen etwa 5.000 Neukundinnen dazu. Luxemburg geht in Sachen bezahlbaren Nahverkehr noch einen Schritt weiter. Hier ist der Nahverkehr mit Zügen, Straßenbahnen und Bussen komplett kostenlos. Das ist für den Staat auf der anderen Seite allerdings auch nicht ganz günstig. Mit 607 Euro pro Person gibt Luxemburg im Europavergleich das meiste Geld für die Schieneninfrastruktur aus. Durch fehlende Ticketeinnahmen entgehen dem Staat jedes Jahr rund 40 Millionen Euro. Für Luxemburgs Mobilitätsminister sei dies aber nicht weiter schlimm, da die fehlenden Einnahmen durch Steuergelder wieder ausgeglichen werden könnten und so zudem auch das System sozial gerechter werde: „Wer weniger Steuern zahle, für den ist der ÖPNV nun deutlich günstiger als vorher, wer hingegen gut verdient und so auch mehr Steuern zahlt, der zahle auch mehr für den ÖPNV.“ Ziel der neuen Mobilitätsstrategie sei es, den vielen Staus und den hohen CO2-Emissionen in Luxemburg entgegenzuwirken. In keinem anderen Land in Europa besitzen die Menschen im Durchschnitt mehr Autos als in Luxemburg. Auf die rund 630.000 Einwohner Luxemburgs kommen täglich rund 220.000 Grenzpendlerinnen. Eine erste Bilanz des Umweltministers ist positiv, auch wenn aufgrund der Corona-Pandemie noch keine aussagekräftigen und vergleichbaren Zahlen vorliegen. Doch es gibt auch Kritik am neuen kostenlosen Nahverkehr. Für manche sei die neue Mobilitätspolitik der Regierung nur teures Marketing. Zudem fördere man immer noch die Autofahrer:innen, denn lange Zeit war Luxemburg für seinen Tanktourismus bekannt. Nun steigen aber auch hier die Preise. 2021 wurde eine CO2-Steuer eingeführt; 2022 soll der Preis für eine Tonne CO2 schon bei 25 Euro liegen. Mit einem aktuellen Super-Plus Preis pro Liter von 1,65 Euro ist tanken in Luxemburg zwar immer noch deutlich günstiger als in Deutschland, wo der Preis pro Liter im Durchschnitt bei 1,95 Euro liegt, aber nicht wesentlich günstiger als in andere EU Staaten, wie beispielsweise in Frankreich (1,55 Euro pro Liter).
So gut sich das Konzept Luxemburgs auch anhört, übertragbar auf Deutschland ist es jedoch nicht, denn Luxemburg ist ein deutlich kleineres Land, da sich ein solches System gut leisten kann.
Das 9-Euro-Ticket wird eine Fortsetzung bekom­men. Darauf haben sich die Verkehrsminister:innen erst vor kurzem geeinigt. 49 Euro pro Monat soll dieses neue Folgeticket kosten. Um dieses Ticket zu finanzieren, will der Bund den Ländern 1,5 Milliarden Euro bereitstellen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass sich die Länder ebenfalls mit mindestens 1,5 Milliarden Euro beteiligen.

Eine gute Lösung?

Mit einem geplanten Preis von 49 Euro soll das Folgeticket deutlich teurer werden als das 9-Euro-Ticket. Damit ist es für viele Wochendtouristinnen keine sinnvolle Option mehr. Auch für viele Menschen auf dem Land, bei denen der Bus nur alle 2 Stunden kommt, ist das neue Ticket keine Alternative zum Auto. Sinnvoll könnte das neue Ticket jedoch für jene Pendlerinnen sein, die bisher teure Abo-Karten besaßen und aus dem Stadtrand zum Arbeitsplatz gependelt sind. Für diese könnte das neue Ticket gerade mit Blick auf die hohen Benzinpreise eine echte Alternative zum täglichen Autofahren darstellen.
Ein günstiges Nahverkehrsticket alleine reicht allerdings nicht aus, um die Menschen in Deutschland langfristig für einen Umstieg auf einen klimaschonenden ÖPNV zu motivieren. Dafür muss Deutschland mehr in die Schienbeinfraktur investieren, denn das hat man in den letzten Jahren gerade im europäischen Vergleich zu wenig getan. Die Politik muss für eine neue, nachhaltige Mobilität alle mitnehmen, egal wo sie wohnen oder was sie verdienen. In den Monaten des 9-Euro-Tickets konnten gerade sozial schwächere Familien seit langem endlich mal wieder gemeinsam verreisen und mobil sein. Das darf keine einmalige Erfahrung bleiben. All diese Familien, für die auch ein 49-Euro-Ticket nicht finanzierbar wäre, dürfen nicht vergessen werden. Damit ein solches Ticket auch sozial gerecht ist, muss es auch für diese Familien eine günstigere Option geben, ebenso wie für alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die durch das 9-Euro-Ticket und nach einer langen Corona-Pandemie endlich wieder mobil sein konnten. Lag Scholz jetzt richtig, wenn er von einer der besten Ideen, die er je hatte, spricht? Ja, denn das 9-Euro-Ticket war vor allem eins, zukunftsweisend. Ohne dieses Ticket hätte es die Debatte um bezahlbaren flächendeckenden ÖPNV wahrscheinlich nie gegeben. Ein langfristiges flächendeckendes ÖPNV-Ticket wie das geplante 49-Euro-Ticket gäbe es höchstwahrscheinlich auch nicht. Das 9-Euro-Ticket hat Weichen gestellt, Weichen für eine neue Mobilität der Zukunft..

Mara Kollhoff

ist Schülerin am Albert-Magnus-Gymnasium Friesoythe und schreibt dort für die Schüler*innenzeitung magnus.

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