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„Lasst euch von niemandem die Handschrift nehmen”

Hannover sollte Austragungsort des ersten Deutschen Nachwuchsdrehbuchfestivals up-and-coming sein, in Zeiten von Corona fanden sich die Teilnehmenden am Bildschirm wieder. Die Nachwuchsfilmemacher Samuel Bereuther und Silas Degen von der Universität Hildesheim waren mit von der Partie.

Sparen wir uns große Laberei und unnötigen Schnickschnack um den Einstieg. Wir brauchen nicht die gewohnte Welt als erste Stufe der Heldenreise zu etablieren, wo das Drehbuch die hinterste Geige spielt direkt nach dem Set-Runner-Solo. Steigen wir also direkt beim ersten Wendepunkt ein: Etwas kommt, was es so nie gegeben hat – ein Drehbuchfestival für Nachwuchstalente. So sähe es vielleicht aus, wenn das erste up-and-coming-Drehbuchfestival irgendwann verfilmt werden sollte. Sich bei Kurzfilmskripten nicht lange am ersten Akt aufzuhalten ist einer der ersten Grundsätze, die Dramaturgin und Babelsberg-Dozentin Inka Fromme uns auf den Weg gibt.

Überlegt euch also genau, was für eine Geschichte ihr erzählen wollt.

Dramaturgin und Babelsberg-Dozentin Inka Fromme

Buchstaben. Wörter. Sätze. So sehr der Film am Ende von seinen Bildern lebt, entsteht er doch im Regelfall auf Papierseiten. Fast symptomatisch für das Drehbuch-Metier, dem in der Regel wenig öffentliche Beachtung geschenkt wird,  ist die Anekdote von Drehbuchautor Thorsten Wettcke, der bei der Premiere seines eigenen Filmes nicht auf das Teamfoto sollte, weil sein Name auf der Gästeliste fehlte. Beim up-and-coming-Drehbuchfestival konnten vom 27. bis 29. November 2020 Workshops, Coachings und Seminare besucht werden. Ziele waren Vernetzung, Wissensaustausch, Weiterbildung und Reflexion.

Ausgewiesene Highlights waren dabei unter anderem eine Diskussion mit Burhan Qurbani, dem Regisseur der 2020er Neuverfilmung von BERLIN ALEXANDERPLATZ, sowie einem Auftritt von Headautor Johannes Beetz, der Wolfgang Petersens Filmklassiker DAS BOOT im Serienformat wieder in See stechen ließ. Außerdem gab es etliche Workshops und Expert*innenrunden zu verschiedenen, teils auch Pandemie-spezifischen Themen. Im “Ideencheck” konnten Teilnehmende über mehrere Termine mit Fachleuten an ihren Drehbuchideen feilen. Im Workshop “How to Pitch Online” mit Kommunikationscoach Christoph Hilger stand hingegen der wirtschaftliche Aspekt des Drehbuchberufs im Fokus.

Ein Autor ist immer auch ein Unternehmer.

Dozent Professor Peter Henning

Auch die Vermarktung des eigenen Werkes in Zusammenspiel mit einem sympathischen Auftreten würden längst zu den Kernkompetenzen von Autor*innen gehören.

Höhepunkt des up-and-coming-Festivals: Die Verleihung des Nachwuchsdrehbuchpreises, der in diesem Jahr zum zweiten Mal ausgerufen wurde. Zumindest für die Einreichzahlen dürfte die Corona-Pandemie ein Segen gewesen sein. Während Filmproduktion an den Hochschulen ruhten, griffen junge Nachwuchstalente in die Schubladen, holten Drehbuchentwürfe oder Notizbücher hervor und begannen zu schreiben. Die Abgeschiedenheit im Teillockdown gab Filmstoffen die Möglichkeit, zu wachsen. Und so trudelten bis Ende Juli 231 Drehbücher im Umfang von zwei bis 486 Seiten beim up-and-coming-Drehbuchfestival ein, von denen die Jury zwei Stoffe auswählten, die mit dem Deutschen Nachwuchsdrehbuchpreis 2020 ausgezeichnet wurden. Die Nominierten wurden von bekannten Synchronstimmen wie Tobias Kluckert (spricht Joaquin Phoenix als Joker), Timmo Niesner (spricht Frodo in DER HERR DER RINGE ) und Ranja Bonalana (spricht Wendy in der gleichnamigen Hörspielserie).

Foto: Silas Degen

Neben einem Preisgeld und einer einjährigen Mitgliedschaft im Verein Deutscher Drehbuchautoren (VDD), lockte eine Patenschaft für die beiden Gewinner*innen. Eine jener Paten ist Heide Schwochow, die insbesondere für Filme mit ihrem Sohn Christian, wie beispielsweise DIE UNSICHTBARE und BORNHOLMER STRASSE bekannt wurde. Damit ist sie intergenerationelle Drehbucharbeit von zu Hause aus gewohnt. Als Quereinsteigerin hat sie erst mit 53 Jahren ihr erstes Drehbuch verfasste, ihre Anfänge in der Branche liegen also noch nicht weit zurück. Die ersten Schritte junger Filmtalente zu unterstützen, ist für sie zur Herzensangelegenheit geworden. So ist sie dieses Jahr außerdem in der Jury des Nachwuchsfilmfestivals Max Ophüls Preis vertreten.

Es gibt so viel wichtiges Praxiswissen, das an Drehbuchschulen nicht gelehrt wird“

Heide Schwochow

So möchte sie als Patin in erster Linie mit ihrer Erfahrung als Ansprechpartnerin für Produktionsfinanzierung, Marktstrukturen, Konfliktsituationen oder Vertragsverhandlungen dienen. Doch auch ihre dramaturgische Perspektive möchte sie einbringen. „Dafür ist es wichtig, sein Gegenüber ernst zu nehmen, bevor man eigene Ideen beisteuert“, erklärt Heide Schwochow ihre Arbeitspraxis. „Ich habe gute Erfahrungen gemacht, sehr offen an dramaturgische Gespräche heranzutreten und Inhalte vor allem über die richtigen Fragen zu verhandeln.“

Ob sie als Patin das Gewinnerstück DRY COUNTRY von Malte Thomsen oder KEINE WAHL von Beke Rienitz betreuen wird, muss die Zukunft noch zeigen. Beide Stoffe laden zu einer weiten Zeitreise ein: Ersterer in das dunkle Kapitel des Nationalsozialismus, letzterer in eine dystopische Zukunftsvision der Wasserknappheit. Alter und Lebenserfahrung spielt für Heide Schwochow keine Rolle, um fremde Zeiten und Orte in Drehbücher verarbeiten zu können. „Junge Menschen haben ein Stück mehr Freiheit bei der Umsetzung, sofern sie eine Intention gefunden haben.“ Sie habe die Zeit des Nationalsozialismus ebenfalls nicht mehr erlebt, aber Drehbücher über diese Zeit wie DIE DEUTSCHSTUNDE geschrieben. Wichtig sei für junge Autor*innen allein, ein inhaltliches Thema zu finden, bei dem man eine Obsession verspüre. „Hört immer zu und nehmt jede Rückmeldung ernst, egal von wem sie kommt“, gibt die Drehbuchautor*in Nachwuchstalenten auf den Weg.

Aber lasst euch von niemandem eure Handschrift nehmen.

Heide Schwochow

„Auffällig ist, dass sich ein wachsender Teil der jungen Autor*innen politischen und gesellschaftlichen Fragen zuwendet“, sagt Festivalleiter Burkhard Inhülsen über die Sichtung der Drehbücher. Besonders zahlreich vertreten waren in diesem Jahr Stücke über Brennpunktthemen wie Klimawandel, Künstliche Intelligenz und historische Vergangenheitsbewältigung. Doch auch „Klassiker“ aus der Lebenswelt der Jugendlichen wie Liebe, Suche nach sozialer Gerechtigkeit und Ausgrenzung werden verhandelt. In den Diskussionen während des Festivals machen die Wünsche und Ideen der Teilnehmer*innen deutlich: Da kommt eine neue Generation von Drehbuchschreiber*innen hervor, die die deutschen TV-Serien samt ihres Professors Boernes und Mutter Beimers an den Nagel hängen und Wege fernab der eher gediegenen Serienformaten finden möchte.

Kritisch verzeichnet die Jury allerdings, dass kaum Diversität in die eingereichten Drehbücher Einzug genommen habe.

Wir haben gesucht und nicht viel gefunden. Da schleichen sich immer unterschwellig die gleichen stereotypen Figuren ein.

Claudia Wenzel

Hier mache sich bemerkbar, dass die Fehler der Branche auf ihre Nachwuchstalente abfärbe. Das Team von up-and-coming hat reagiert und das Thema Diversität beim Drehbuchfestival mit besonderem Augenmerk bedacht. Der Film hinke dem Theater in der Hinsicht weit hinterher und drohe ähnliche Fehler zu begehen, urteilt die Schauspielerin Mateja Meded – Rassismus gehört für sie als Kroatin zum täglichen Umgang. Ähnlich ergeht es Tyron Ricketts. So sehr er zwielichtige Gangsterrollen liebe, so sehr wolle er auch einfach mal für die Rolle eines schwarzen Firmenchefs angefragt werden. “Ich habe in über 60 Filmen gespielt und war immer der Andere.” Eine wichtige Sensibilität, die den Nachwuchsschreiber*innen auf den Weg gegeben wird. Denn Diversität fängt mit dem Kugelschreiber an, selbst die beste Inszenierung kann keine eingewebten Rassismen aus dem Drehbuch waschen.

So liebevoll die Zoom-Meetings und Live-Streams mit ihren animierten Schreibmaschinen und Glühbirnen ausdekoriert sind, so bunt die Farben des Feuerwerkes, das nach der Preisverleihung über den Bildschirm tobt, so sehr stach in vielen Fällen der Mangel an produktivem Austausch hervor, den die gezwungene Digitalität des Festivals mit sich brachte. Auch der eingerichtete Discord-Raum für Nachgespräche wurde in den meisten Fällen nur schleppend angenommen. Das diesjährige up-and-coming wurde somit zu einem größtenteils passiven Erlebnis – es sei denn, man hatte einen der raren Teilnahmeplätze in den Workshops ergattert. Und doch ist es ein wichtiges Zeichen, dass die Gesichter hinter dem up-and-coming Mut bewiesen haben, wo doch so viele andere Nachwuchsfestivals wie die Uelzener Kurzfilmtage oder das Lüneburger IM.KASTEN Kurzfilmfestival in Anbetracht der widrigen Umstände lieber auf bessere Zeiten warten. Die Aufgabe von Drehbuchautor*innen ist es doch gerade, laufend auf Veränderungen zu reagieren. Up-and-coming ist das gelungen: Das Setting hat sich gewandelt, aber der Plot ist geblieben.

Samuel Bereuther & Silas Degen

Samuel Bereuther ist 25 Jahre alt und studiert Szenische Künste an der Universität Hildesheim. In der Vergangenheit hat er Kurzspielfilme und Theaterstücke inszeniert und Dokumentarfilme gedreht. Sein Film „Das Süße zum Schluss“ wurde beim SKANDALØS Festival 2019 präsentiert.

Silas studiert ebenfalls Szenische Künste an der Universität Hildesheim. Seine Filme und Hörspiele erzählen von historischem Unrecht wie der Kinderverschickung und dem Hexenwahn. Sein Film "Findelleiche" erhielt den Jugendfilmpreis für das beste Drehbuch.

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