Während Forschung und Politik sich langsam auf den Abschwung vorbereiten und die Angst vor einem neuen Crash steigt, scheinen sich die meisten Wirtschaftsjournalist*innen die Welt schön zu schreiben.
Frankfurt. Man könnte glatt meinen, eine richtige Krise hätte es nie gegeben. Viel zu unwirklich wirken die Bilder aus dem Fernsehen: Entlassene Banker mit ihren Habseligkeiten auf der Straße, oder Zeltstädte der Occupy-Bewegung, die noch vor zehn Jahren das Frankfurter Bankenviertel belagerten. Wer heute am großen Eurozeichen in der Mitte des Willy-Brand-Platzes oder an den gläsernen Banktürmen vorbeiläuft, spürt von alldem nichts mehr. In der Welt des Geldes wird nur wenig langfristig betrachtet, da spontane Einflüsse berücksichtigt werden müssen. So verwundert es nicht, dass der Blick der Finanzwelt zurück oftmals nur fünf Jahre reicht. Im Gespräch mit Frankfurter Wirtschaftsjournalist*innen wirken die großen Krisen von 2008 und 2014 fast schon vergessen. Die Wirtschaft sei heute „viel besser darauf vorbereitet als früher“, findet beispielsweise Heike Schwerdtfeger von der Wirtschaftswoche (WiWo). Und auch die Analyst*innen der Deutschen Bank sind der Meinung, dass Deutschland heute wesentlich besser dasteht als vor der Krise 2008.
Doch es ist eben auch nicht alles gut beim ehemaligen Exportweltmeister Deutschland. Während der Dienstleistungssektor noch immer boomt, ist das Wachstum in der Industrie inzwischen längst abgeflacht und teils negativ. Nicht zuletzt die deutsche Automobilindustrie wurde vom Brexit und dem sich zunehmend zuspitzenden Handelskonflikt zwischen den USA und China stärker getroffen, als sie zugeben mag. Deutschland muss sich also in den kommenden Jahren auf ein wesentlich geringeres Wachstum einstellen als bisher. Die fetten Jahre sind nun erst einmal vorbei, erklärte selbst Finanzminister Olaf Scholz vor einigen Monaten bei einer Pressekonferenz. Auch Volkswirte sehen für das dritte Quartal die Kriterien einer technischen Rezession erfüllt, obwohl das Wirtschaftswachstum der Eurozone zum aktuellen Zeitpunkt noch rund 1,8 Prozent beträgt.
Eine öffentliche Meinung auf Pump
Es herrscht offensichtlich Uneinigkeit zwischen Politik, Forschung und Medien. Das Narrativ der letzten Jahre, dass Deutschland auch in den nächsten Jahren mit großem Wachstum zu rechnen hätte, scheint erschöpft. Im Koalitionsvertrag der GroKo ist von abflachender Wirtschaft noch nicht die Rede gewesen und doch werden viele Entscheidungen heute längst mit Blick auf eine zukünftige Rezession getroffen. Wie kommt es, dass in der Wirtschaftsforschung schon seit einigen Jahren von einem Abschwung die Rede ist – und offenbar auch die Politik begriffen hat, was auf uns zukommt – während Medien und Öffentlichkeit erst langsam aufwachen und die Situation sogar herunterspielen?
Eventuell ist eine unzutreffende Kommunikation der Regierung die Ursache. Der Regierung, die uns relativ unbeschadet durch die letzten Krisen gezogen hat und unsere Wirtschaft seitdem mit beträchtlichen Subventionen von mittlerweile knapp 30 Milliarden Euro jährlich am Leben hält. Jedoch könnte es aber auch an der bequemen Situation der meisten Wirtschaftsjournalist*innen liegen, die aufgrund der räumlichen Nähe zu schnell zum Anwalt der Wirtschaft werden und Angst vor einer selbst erfüllenden Prophezeiung haben: Wenn alle denken, dass es der Wirtschaft schlecht geht, wird es ihr auch zwangsläufig schlecht gehen.
Zinspolitik aus dem Elfenbeinturm
Beide Faktoren spielen sicher eine Rolle an der aktuellen Situation, aber es lohnt sich insbesondere einen Blick auf die die Geld- und Fiskalpolitik der letzten Jahre zu werfen. Die europäische Zentralbank (EZB) nutzte ihre Gestaltungsmacht in den letzten Jahren hauptsächlich, um neues Geld in die Wirtschaft zu pumpen und so das Wachstum aufrecht zu erhalten. Dies tat sie, indem sie mit neu geschaffenem Geld Anleihen kaufte oder durch das Senken des Leitzinses. Offenbar war die EZB mit dieser Strategie auch recht erfolgreich, schließlich wuchs die Eurozone in den letzten Jahren wieder beachtlich und man gewöhnte sich wieder an eine wachsende Wirtschaft, deren größtes Problem angeblich der Fachkräftemangel sei.
Doch in Zeiten des Brexits und eines drohenden Handelskonflikts zwischen den USA und China kommt ein geldpolitisches Instrument ausgerechnet jetzt an seine natürlichen Grenzen: Der Leitzins, zu dem die EZB Geld an Geschäftsbanken verleiht, ist seit geraumer Zeit bei null Prozent angekommen und lässt sich unter normalen Umständen nicht weiter senken. Zwar versichert Uta Harnischfeger, Pressesprecherin der EZB, dass auch ein negativer Leitzins durchaus machbar sei. Es bleibt die Frage, inwiefern negative Zinsen die Wirtschaft noch weiter stimulieren sollen, da die Auswirkungen eines solchen Eingriffes begrenzt sind. In der Wirtschaftswissenschaft wird dieses Phänomenen Liquiditätsfalle genannt und Forscher sind sich einig, dass es nur schwer möglich ist, wieder aus ihr zu entkommen.
Die Möglichkeiten der Eurozone sind also begrenzt. Ob uns die nächste Krise wirklich zeitnah treffen wird und welche Auswirkungen sie haben wird, bleibt abzuwarten. Immerhin: Mehr Regulierung wurde von den meisten Seiten trotz dessen gefordert. Dorothee Holz von der Wirtschaftssendung „Börse vor Acht“ meint beispielsweise, dass wir uns dringend fragen müssen, wie wir künftig regulieren wollen, um eine steigende ökonomische Ungleichheit zu vermeiden.
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