Ob sozialistisch, liberal oder konservativ – so vielfältig wie wir Menschen sind auch unsere politischen Ansichten. Diese sind unerlässlich für politische Diskurse und unsere Demokratie. Wie entstehen politische Meinungen, wie passen individuelle Ansichten und eine Partei zusammen und was passiert bei Zweifeln in der Politik? Rieke Duhm sprach mit Nachwuchspolitiker*innen verschiedener Parteien über diese Fragen.
Auf den ersten Blick haben Glaube und Politik nicht viel gemeinsam. Doch bei näherer Betrachtung gibt es einige Ähnlichkeiten: Sie schaffen Gemeinsamkeiten, können Menschen vereinen und sind höchst individuell – man könnte von einer Art politischem Glauben sprechen. Wie entsteht eine politische Einstellung und was prägt sie? An der Beantwortung dieser Fragen versuchen sich nun Jungpolitiker*innen von Jugendorganisationen der Parteien.
Svenja Appuhn ist im Landesvorstand der Grünen Jugend Niedersachsen und findet, eine politische Einstellung entstehe durch eine „bunte Mischung aus Sozialisation, Erfahrungen und Situationen, die einem etwas aufzeigen.“ Auch Christian Fühner, Vorsitzender der Jungen Union Niedersachsen, meint, es sei entscheidend, wie jemand aufwachse, welche Eindrücke ihn prägen würden und welches Wertefundament die Person mit auf ihren Weg bekomme. Dieser Prozess heißt Sozialisation.
Diese Ansicht vertritt auch die Politikforschung. So bezeichnet die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) dies als Primär- und Sekundärsozialisation. Zunächst gebe es aber interne Sozialisationsfaktoren, die bei einem Menschen schon seit der Geburt festgelegt seien, wie körperliche Merkmale, das Geschlecht, bestimmte geistige Eigenschaften oder Fähigkeiten. Diese bestimmen den Menschen und sind der erste Faktor der Sozialisation. Im Folgenden prägt die Familie den Menschen. Hier sind zum Beispiel die Zusammensetzung der Familie oder die finanziellen Mittel bedeutende Einflüsse. Dies erzählt auch Salim Hemeed von der Linksjugend Niedersachsen: „Für die politische Einstellung ist es wichtig, was mich in der Jugend prägt. Wenn ich in einer Familie aufwachse, die Hartz IV bezieht, setze ich meine Prioritäten in der Politik natürlich anders.“ Der nächste Schritt in der Sozialisation sei die Sekundärsozialisation. Die bpb zählt hierzu die sogenannte Peergroup (vom Englischen peer = Gleichaltrige*r), die Menschen aus dem Umfeld einschließt, also hauptsächlich Freund*innen, in der Schulzeit aber auch Mitschüler*innen. Diese werden meist nach ähnlichen Ansichten ausgesucht, was in Zeiten von Social Media einfacher ist denn je. Denn durch Gruppen in sozialen Netzwerken können gleiche Interessen besser gebündelt und schneller ausgetauscht werden. Dieses soziale Umfeld präge Menschen allgemein, gerade wenn man zum Beispiel immer häufiger mit neuen Meinungen konfrontiert sei, so Pia Pols, Stellvertreterin der Jusos, der Jugendorganisation der SPD, in Niedersachsen. Als den letzten Schritt der Sozialisation nennt die bpb den sozialen Raum, zu dem zwar auch Personen des Umfeldes, aber auch die Region oder die Stadt gehöre. Christian Fühner beschreibt dies so: „Da spielen auch Faktoren wie zum Beispiel, ob man in einer ländlichen oder städtischen Region aufwächst, eine Rolle.“
Unsere Politik gründet sich auf unterschiedlichen Ansichten, ob direkt durch den Wähler*innen-willen oder indirekt durch die Abgeordneten in Parlamenten, zum Beispiel im Bundestag, die die gesamte Bandbreite des Volkes vertreten. Im besten Fall sollten es nur diese Meinungen sein, die unsere Politik beeinflussen, denn in einer idealen Demokratie wird die Politik durch die Abgeordneten und damit indirekt durch das Volk bestimmt. Genau dies bedeutet Demokratie – die Herrschaft des Volkes. Doch in der Realität sieht dies meist etwas anders aus. Denn häufig zeigt sich, dass Wahlversprechen der Politiker*innen und die tatsächliche Politik alles andere als deckungsgleich sind. Könnte der politische Diskurs der Grund dafür sein? Denn schließlich bilden die Politiker*innen, beziehungsweise Parlamente die pluralistische Gesellschaft ab. Trotzdem ist es ihre Aufgabe, Kompromisse zu schließen und sich auf gemeinsame Beschlüsse zu einigen oder diese zumindest mit einer Mehrheit abzustimmen. „In der Politik müssen Kompromisse geschlossen werden, dafür muss manchmal auch die eigene Meinung zurückstecken. Nur so funktioniert Demokratie“, so Christian Fühner. Lars Alt, Landesvorsitzender der Jungen Liberalen Niedersachsen, findet: „Kompromisse werden in unserem politischen System häufig als Schwäche angesehen, dabei sind sie der Kleister der Politik.“
Durch das Parteiensystem soll dies schon einmal vereinfacht werden, da sie in der Grundhaltung und in den Werten eine Grundlage in den politischen Ansichten bilden. Alt erklärt, die Gemeinsamkeiten innerhalb einer Partei seien größer als die Gemeinsamkeiten mit anderen Parteien. Dies bedeute aber nicht, dass es nicht trotzdem Konflikte innerhalb einer Partei gebe. Pippa Schneider von der Grünen Jugend Niedersachsen sieht dies ähnlich: „Natürlich gibt es da verschiedene Meinungen. Es ist allein schon schwierig, nur zwei Personen mit der gleichen Meinung zu treffen.“ Daher müsse man die Partei mit der größten Übereinstimmung in politischen Fragen finden. Salim Hemeed sagt über diese parteiinternen Unterschiede: „Wenn man drei Parteien an einen Tisch setzt, hat man Vertreter von sechs Parteien. Diese Unterschiede gibt es nun einmal, da muss man in den einzelnen Fraktionen auch offen darüber reden.“
Doch wo Meinung auf Diskurs trifft, kann es auch immer wieder zu Bedenken kommen. Treten diese in der Politik auf? Die Politiker*innen der Jugendorganisationen der etablierten Parteien sind sich hier ziemlich einig. Zweifel, oder zumindest ein Hinterfragen, würden in der Politik weniger an Werten und grundsätzlichen Einstellungen, mehr an Entscheidungen vor-kommen. Allerdings seien Zweifel auch wichtig für den politischen Diskurs. So sagt Fühner: „Zweifel können sich durchaus positiv auf die Politik auswirken, denn dies zeigt, dass Positionen hinterfragt werden. Diese Flexibilität ist eine Stärke der Demokratie.“ Und doch werden politische Zweifel häufig nicht gut aufgenommen. Pia Pols erklärt: „Skepsis an eigenen Entscheidungen verringern die Wählbarkeit.“ Denn Politiker:innen müssten nach außen ihren Standpunkt klar vertreten. Auch Appuhn sieht darin ein Problem, denn auf Zweifel folge meist Gegenwehr, wodurch Dinge noch vehementer durchgesetzt werden würden. Parteien würden dadurch als schwach und weniger regierungsfähig an-gesehen werden. Doch sollten wir nicht anders mit Bedenken umgehen, wenn diese ganz normal sind? „Wir sollten Zweifel honorieren, auch in der Politik sollte das Prinzip der zweiten Chance gelten“, betont Lars Alt. Pia Pols stimmt ihm zu: „Man sollte nicht an Politikern zweifeln, nur weil diese vor Jahren mal einen Fehler gemacht haben.“ Auch Salim Hemeed und Svenja Appuhn wünschen sich hier eine größere Toleranz und einen Raum, in dem Zweifel akzeptiert werden, solange aufrichtig mit diesen umgegangen werde.
Beitragsbild: Jugendpresse Deutschland/ Johannes Kolb
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