Die US-Wahl ist entschieden: Ab Januar haben die Vereinigten Staaten einen neuen Präsidenten. Doch was bedeutet ein Präsident Biden für Europa und Deutschland? Das JPN-Journal hat bei den Bundestagsabgeordneten Johann Wadephul (CDU) und Nils Schmid (SPD) am Tag vor der Wahl nachgefragt, ob sie nach vier Jahren Trump noch an die transatlantische Partnerschaft glauben – und warum auch unter Präsident Biden nicht wieder alles wie früher wird.
Es waren fünf lange und ungewisse Tage im November, als die ganze Welt gebannt auf die Vereinigten Staaten schaute. Eigentlich hätte der ehemalige Vizepräsident Joe Biden laut Umfragen in den entscheidenden „Swing States“ deutlich vorne liegen sollen, doch am Ende wurde es vielerorts noch richtig knapp.Besonders gebannt schauten deutsche Außenpolitiker*innen auf die USA, denn wer im Weißen Haus sitzt, bestimmt maßgeblich die Außenpolitik und damit auch die Beziehung zu den transatlantischen Partnern. Diese Partnerschaft hatte zuletzt massiv unter Donald Trumps Alleingängen und seiner teils schroffen Sprache gegenüber Europa gelitten. Trump schien vor allem die Bundesrepublik im Visier zu haben: Immer wieder kritisierte er etwa die deutsche Flüchtlings- und Verteidigungspolitik.
Ab dem 20. Januar werden die USA also einen neuen Präsidenten haben – freuen dürfte das auch Nils Schmid, SPD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, und Johann Wadephul, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU für die Außen- und Verteidigungspolitik.
Ein belastetes Verhältnis
„Wir hatten ein sehr gespanntes Verhältnis zu Donald Trump. Obwohl die USA für uns der wichtigste sicherheitspolitische Partner ist, hat seine Kritik an Deutschland das transatlantische Verhältnis stark belastet“, erklärte Wadephul. Auch Nils Schmid bewertete Donald Trumps Außenpolitik als „unangenehm“. „Trump sah die europäischen Partner eher als Befehlsempfänger als als gleichberechtigte Diskussionspartner. Das wird unter Joe Biden anders sein.“
Wadephul und Schmid waren sich einig, dass Präsident Biden wieder mehr Wert auf das transatlantische Bündnis legen wird. „Joe Biden kennt Deutschland und Europa und weiß, wie wichtig Bündnisse sind“, erklärte der Christdemokrat Wadephul. Sein SPD-Kollege hofft zukünftig wieder auf ein abgestimmtes Vorgehen bei den Konflikten im Nahen Osten, mit dem Iran, in Lybien und in der Ukraine.
Europa kann sich nicht mehr hinter Trump verstecken
Eine Rückkehr zu den Zeiten, in denen die USA die sicherheitspolitische Führung übernommen haben, sehen die Parlamentarier aber trotzdem nicht. „Die USA haben sich lange Zeit sehr um westeuropäische, arabische und afrikanische Staaten gekümmert und in diesen Regionen für Ordnung gesorgt – das ist vorbei. Auch Joe Biden wird diese Ordnung nicht wiederherstellen“, sagte Wadephul. Das bedeute in der Konsequenz, dass Europa in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen müsse.
Nils Schmid ergänzte: „Das Ende der Präsidentschaft Donald Trumps bedeutet auch, dass sich Europa nicht länger hinter Trump verstecken kann. Es gibt keine Ausrede mehr. Die Amerikaner werden einfordern, dass Europa sich mehr engagiert bei der Konfliktlösung – militärisch und diplomatisch.“ Joe Biden werde deshalb hohe Anforderungen an die EU stellen, aber gleichzeitig zum Dialog darüber bereit sein.
Neuer Präsident, gleiche Streitpunkte
In einigen zentralen Streitfragen zwischen den USA und Deutschland wird der Wechsel im Weißen Haus allerdings wohl keine Einigung herbeiführen. Eine davon ist das bereits 2002 beschlossene Zwei-Prozent-Ziel der Militärallianz NATO. Damals hatten sich alle Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, diesen Anteil ihres Bruttoinlandsproduktes für Rüstung auszugeben, um das Bündnis zu stärken. In Deutschland lagen die Ausgaben 2019 aber lediglich bei 1,3 Prozent des BIP – zum Miss-fallen der USA, die fast 15 mal so viel für das Militär ausgeben wie Deutschland. Das hatte Donald Trump mehrfach kritisiert, zuletzt im Juli, als er twitterte: „Deutschland zahlt Russland jährlich Milliarden von Dollar für Energie, und wir sollen Deutschland vor Russland schützen. Was soll das sein?“
Johann Wadephul war sich sicher, dass auch Joe Biden von Deutschland fordern würde, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erfüllen. „Da gibt es keine Unterschiede zwischen einem Präsidenten Donald Trump und Joe Biden.“ Für das Nichterreichen des Ziels machte der Fraktionssprecher den Koalitionspartner SPD verantwortlich. „Wir hätten das Geld, dieses Ziel zu erfüllen. Aber besonders die SPD war in unserer Koalition nicht der Meinung, dass wir mehr Geld für Verteidigung ausgeben sollten. Deshalb ist dieses Ziel in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr zu erreichen.“
Die Kritik ärgerte Nils Schmid, der das Problem nicht bei seiner Partei sah: „Da macht es sich der CDU-Kollege etwas zu leicht. Das liegt eher am CDU-geführten Verteidigungsministerium, in dem wir in den letzten Jahren immer wieder hohe Haushaltsreste hatten.“ Dort würden Haushaltsmittel nicht abgerufen, weil das Ministerium nicht ausreichend gut organisiert sei. „Da hat der Koalitionspartner ein bisschen was nachzuarbeiten.“
Generell zweifelte Schmid aber auch an der Sinnhaftigkeit des Zieles. „Ich finde die Zwei-Pro-zent-Debatte etwas irreführend, denn es geht ja nicht darum, sklavisch Zahlenziele zu erreichen, sondern ein einsatzfähiges Militär zu haben.“ Man solle sich deshalb auf militärische Fähigkeiten anstatt auf Zahlen konzentrieren. „Wir haben gerade die absurde Situation, dass wir uns dem Ziel annähern, weil unser BIP während Corona sinkt. Das hilft unseren Soldaten aber nicht weiter.“
Kritik mit Eigeninteresse
Ein weiterer Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland, den der Wechsel im Weißen Haus wohl gleichermaßen nicht beilegen wird, ist „North Stream 2“, eine Gaspipeline, die über die Ostsee direkt zwischen Deutschland und Russland verläuft. Die Pipeline ist im vollständigen Besitz des russischen Staatskonzerns Gazprom. Vor allem die USA und osteuropäische Staaten kritisieren Deutschland deshalb massiv: Deutschland mache sich politisch von Russland abhängig.
Nils Schmid sah die Kritik ambivalent. „Es stimmt, Energiegeschäfte haben auch immer eine politische Dimension. Deshalb ist die Kritik teilweise berechtigt, aber auch unehrlich. Durch „North Stream 2“ fließt noch gar kein Gas, aber die USA und osteuropäische Länder importieren schon jetzt Öl, Gas und Kohle aus Russland und füttern damit das Putin-Regime mit Milliarden.“ Sein Parlamentskollege Wadephul sah in der Kritik noch ein weiteres Interesse: „Die USA wollen auch gerne ihr eigenes Flüssiggas vertreiben, welches sie neuerdings fördern. Völlig ohne Eigeninteresse handeln die US-Amerikaner hier auch nicht.“
Europa solle eigene Interessen voranstellen
Neben Russland wird auch eine andere Großmacht auf der Tagesordnung stehen, wenn Joe Biden mit europäischen Staats- und Re-gierungschefs über Außenpolitik verhandelt: die Volksrepublik China. Nils Schmid sagte: „Biden wird von den Europäern verlangen, dass sie eine härtere Linie gegenüber China fahren und versuchen, sie zu einem gemeinsamen Vorgehen gegenüber China zu bewegen.“ Vor allem in den Bereichen Marktzugang zum chinesischen Markt und Kontrolle chinesischer Investitionen würde Biden fordern, dass sich die Europäer den Amerikanern anpassen.
Johann Wadephul sah darin kein großes Problem: „China hat wirtschaftlich weltweit eine große Abhängigkeit hergestellt und nutzt diese Macht auch politisch. Natürlich sind wir dann den USA näher, das ist klar. Das sind unsere Verbündeten, das ist eine Demokratie, ein Rechtsstaat. Das ist etwas anderes als die autokratische Diktatur in China.“ Trotzdem plädierte er dafür, dass Europa an erster Stelle seine eigene Interessen vertritt. „Nur so geraten wir nicht zwischen die Fronten.“
Wenn man Schmid fragt, was er aus der Regierungszeit Trumps gelernt hat, gibt er eine ernüchternde Antwort. „Die vier Jahre haben gezeigt, wie zerbrechlich eine Demokratie sein und wie sie von innen ausgehöhlt werden kann.“ Demokratische Staaten bräuchten nicht nur Institutionen und eine Verfassung, sondern auch gesellschaftliche Unterstützung. „Wir können nur hoffen, dass es die amerikanische Gesellschaft schafft, wieder zu einer demokratischen Kultur zurückzukehren.“
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